Rezension

Der Traum vom selbstbestimmten Leben

Alligatoren - Deb Spera

Alligatoren
von Deb Spera

Bewertet mit 5 Sternen

20er Jahre Amerika. Gertrude Pardee lebt mit ihrer Familie in einer Baracke in den Sümpfen von South Carolina. Sie und die vier Kinder leiden nicht nur unter dem tyrannischen und ständig betrunkenen Ehemann, sondern sie haben auch kaum etwas zu essen. Gertrude will diesen Zustand nicht länger ertragen und bringt ihre drei ältesten Töchter bei ihrem Bruder im Nachbardorf unter, wo sie ihm als Helferin auf seinen Baumwollfeldern zur Hand gehen sollen. Ihre 6-jährige Tochter Mary ist krank und kommt bei der Farbigen Oretta unter, die in Heilkünsten versiert ist. Gertrude selbst nimmt eine Stelle als Näherin in der Fabrik von Annie Coles an und kommt sogar in einem kleinen Häuschen unter. Um ihre letzten Besitztümer aus der familieneigenen Hütte zu holen, bewaffnet sich Gertrude mit einem Gewehr und macht sich auf den Weg durch die Sümpfe, wo sie unvermittelt auf einen Alligator trifft. Sie will ihn erschießen, doch dann läuft ihr auch noch ihr besoffener Ehemann über den Weg…

Deb Spera hat mit dem Buch „Alligatoren“ ihren Debütroman vorgelegt, der von der ersten Seite an mit seiner bedrückenden Atmosphäre und leisen Tönen zu fesseln weiß und den Leser regelrecht in die vergangene Zeit hineinzieht. Der Schreibstil ist flüssig und gefühlvoll, lässt den Leser bis zum Ende das Buch nicht aus der Hand legen. Die Geschichte wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt, so dass der Leser mal an der Seite von Gertrude, mal an Orettas und mal an Annies Seite steht und das Leben der Frauen hautnah miterlebt und deren Gedanken und Gefühle dabei offen liegen, was ein gutes Kennenlernen der Protagonistinnen aus unterschiedlichen Schichten leicht macht. Gleichzeitig ermöglicht die Autorin dem Leser dadurch, Einblick in die verschiedenen Gesellschaftsschichten der damaligen Zeit zu nehmen und die Stimmung aufzusaugen, die von Rassismus, Gewalt und Unterdrückung geprägt ist. Frauen hatten damals kaum Rechte und hatten ihren Männern zu gehorchen. Taten sie das nicht, so waren Gewalt und Züchtigung an der Tagesordnung. Sie waren von den Launen ihrer Männer abhängig, dabei war es nicht wichtig, ob sie arm oder reich sind. Sowohl Gertrude als auch Oretta und Annie wollen sich von diesen Fesseln befreien und träumen von einem selbstbestimmten und freien Leben.

Die Charaktere sind sehr detailliert ausgestaltet und mit individuellen Eigenschaften versehen. Sie wirken realistisch und authentisch, so dass es dem Leser nicht schwer fällt, mit ihnen zu leiden, zu fühlen und zu hoffen. Gertrude ist nicht gerade eine sympathische Frau, jedoch ist sie eine starke Persönlichkeit. Sie weiß um die Ausweglosigkeit ihrer Situation und will ihre Kinder und sich selbst aus dem sprichwörtlichen Sumpf und weg von dem gewalttätigen Ehemann bringen. Dafür tut sie alles. Annie ist mit einem reichen Mann verheiratet und leitet ihre eigene Fabrik. Aber auch sie musste schon so einige Schicksalsschläge verkraften, ihre Familie ist auseinandergedriftet, einen Sohn hat sie durch Selbstmord verloren. Doch Annie lässt sich nicht unterkriegen, wirkt selbstbewusst und kämpft gegen die Dämonen, die sie runterziehen wollen, allen voran ihr eigener Ehemann. Oretta ist eine freie Farbige, die als Haushälterin bei Annie arbeitet und in der Heilkunst bewandert ist. Sie wird noch immer nicht von der Gesellschaft akzeptiert, obwohl die Sklaverei inzwischen abgeschafft ist. Sie hat einen festen Glauben, das Herz am rechten Fleck und ist immer hilfsbereit. Annies Mann Edwin ist ein Mann, der seine Familie unterdrückt und sie immer wieder spüren lässt, wer das Sagen im Haus hat. Auch die weiteren Protagonisten tragen zur Intensität der Handlung bei und geben ihr zusätzliche Impulse.

„Alligatoren“ ist ein atmosphärisch-dichter Roman über drei unterschiedliche Frauen mit dem gleichen Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung. Ein absolutes Meisterwerk, das einen auch nach der Lektüre noch lange beschäftigt. Absolute Leseempfehlung!!