Rezension

Der Traum von Gold und Diamanten

So reich wie der König -

So reich wie der König
von Abigail Assor

Bewertet mit 4 Sternen

Der Weg aus den Baracken der Armut ist steinig, staubig und mit ungewissem Ausgang – diese Erfahrung muss die junge Sarah machen, die gemeinsam mit ihrer Mutter in den Elendsvierteln Casablancas lebt. Ihr einziges Gut: Ihre Herkunft als Französin und ihr Aussehen, das den Männern reihenweise den Kopf verdreht und ihre Geldbeutel öffnet, so dass Sarah zumindest mit Essen und Kleidung immer wieder am Lebensstil der Reichen teilhaben kann.

Doch Sarahs Pläne sind ehrgeizig: Nicht nur will sie den ärmlichen Verhältnissen dauerhaft entfliehen, auch Wohlstand soll es sein – und zwar im ganz großen Stil. Driss, Sohn eines erfolgreichen Unternehmers und als Fassi mit Geburtsrecht auf eine Führungsposition in der Gesellschaft, ist hierfür das Objekt ihrer Begierde und Instrument ihrer Pläne und Berechnungen. Selbst mit autistischen Zügen als Figur gezeichnet, ist er willenloses Opfer von Sarahs Ehrgeiz und unfähig, die Auswirkungen und Folgen einer möglichen Verbindung einzuschätzen.

Die Geschichte selbst ist nicht neu, neu sind dagegen für mich Schauplatz, Zeit und eine Gesellschaft, die aufgrund ihrer kulturellen und damit auch religiösen Zusammensetzung ihre ganz eigenen Schranken, Fallstricke und auch Abgründe bereithält. Dass das System starr und festgeschrieben und damit bei weitem nicht so durchlässig ist, wie Sarah sich erhofft und in kindlicher Naivität erträumt hat, ist dann auch eine Erfahrung, die sie schmerz- und schamvoll erleiden muss. Die Folgen ihrer Fehlberechnungen sind folglich gravierend: Sarah steht im wahrsten Sinne des Wortes an einem Abgrund, Driss droht mit hinabzustürzen.

Das Märchen von Aschenputtel ist es nicht, was die Leserin und den Leser mit „So reich wie der König“ erwartet. Es ist vielmehr der Traum einer jungen Frau vom sozialen Aufstieg in einer Gesellschaft, welche die „feinen Unterschiede“ (Pierre Bourdie) in Auftreten und Lebensstil sehr genau zu deuten vermag und jede und jeden brutal an den angestammten Platz verweist. Dass die Geschichte tatsächlich vor der Kulisse Marokkos der 1900er-Jahren spielt, wirkt aus eurozentrischem Blick anachronistisch und erschreckend – und ist für mich auch das, was nach der letzten Seite noch länger in meinen Gedanken bleiben wird.