Rezension

Der ultimative Überlebenstest

Liebe und Verderben - Kristin Hannah

Liebe und Verderben
von Kristin Hannah

Bewertet mit 4 Sternen

Im Zentrum von Kristin Hannahs neuem Roman stehen Ernt und Cora Allbright und ihre Tochter Leni. Die eigentliche Romanhandlung setzt 1974 ein, als Leni 13 Jahre alt ist. Ernt und Cora haben schwere Zeiten hinter sich. Die schwangere 16jährige Cora hatte damals mit ihren Eltern gebrochen und ist dem Mann gefolgt, den sie mehr liebt als ihr Leben, wie der Roman sehr deutlich macht. Seit seinem Kriegseinsatz und der Gefangenschaft in Vietnam ist Ernt nicht nur äußerlich stark verändert. Er leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, hat Albträume, leidet unter Verfolgungswahn, Ruhelosigkeit und neigt zu Ausbrüchen von unkontrollierbarer Gewalt. Nirgendwo hält er es längere Zeit aus, nirgendwo behält er seinen Job. So erscheint es den Allbrights als Glücksfall, als sie von seinem verstorbenen Freund Bob ein Stück Land in Alaska erben. Es ist ein Neuanfang in einer etwa 30 Personen zählenden verschworenen Gemeinschaft, wo Nachbarschaftshilfe selbstverständlich ist. Das Leben in der rauen Wildnis ist hart, das Überleben zu keiner Zeit gesichert. Schon bald zeigen sich neue Probleme. Ernt schließt sich an Bobs Vater “Mad Earl“ an, einen extremen Rassisten, der hasserfüllte Reden hält und jeden drängt, ständig auf die Verteidigung im Ernstfall – einer Invasion von Fremden oder einen Atomkrieg – vorbereitet zu sein. Zudem setzen Ernt die endlos langen Winter zu, die die Dunkelheit in ihm ans Licht bringen. Acht Monate dauert der Winter mit 6 Stunden Tageslicht und 18 Stunden Dunkelheit. Immer häufiger wird Leni Zeugin häuslicher Gewalt. Lenis einziger Freund ist der 14jährige Mathew, Sohn des von Ernt und Mad Earl gehassten reichen Tom Walker. Cora ist nicht bereit, ihren Mann zu verlassen, gibt sich stattdessen lieber selbst die Schuld an den gewalttätigen Übergriffen. Ernt ist eine tickende Zeitbombe, und alle wissen davon. Dem Leser kommt es so vor, als seien die wilden Tiere, vor denen sich alle mit ständig getragenen Waffen schützen, weniger gefährlich als das wilde Tier im Haus der Allbrights. Wer wird überleben? Hat die Liebe zwischen Leni und Mathew eine Chance?

 

Häusliche Gewalt ist jedoch nicht das einzige Thema des Romans. Noch wichtiger ist das Loblied auf die Liebe. Wahre Liebe stirbt nicht, sie überlebt alle Katastrophen, überwindet alle Hindernisse. Hannahs Roman ist sehr gefühlvoll, um nicht zu sagen ziemlich sentimental. Die detaillierten Beschreibungen Alaskas - Klima und Wetter und der Kampf der Menschen ums Überleben fern der Zivilisation, ohne Elektrizität und fließendes Wasser – sind eindrucksvoll und zum Verständnis der Geschichte notwendig. Weniger gelungen finde ich die Charakterzeichnung. Es gibt nur schwarz und weiß, gut und böse, eindimensionale, keine komplexen, runden Charaktere, die sich entwickeln und den Leser in irgendeiner Weise überraschen. Von daher fällt der neue Roman im Vergleich zu Hannahs großartigem Bestseller “Die Nachtigall“ etwas ab. Ich habe das Buch trotzdem nach anfänglichen Schwierigkeiten gern und zügig gelesen.