Rezension

Der Untergang einer scheinbar perfekten Familie

Die Geschichte der Baltimores - Joël Dicker

Die Geschichte der Baltimores
von Joël Dicker

Bewertet mit 4 Sternen

Nach seinem erfolgreichen Erstlingsroman „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ hat der Schweizer Autor Joel Dicker nun seinen zweiten Roman „Die Geschichte der Baltimores“ vorgelegt. Diesmal weniger ein Krimi, sondern eher ein Familiendrama. Trotzdem zeigen sich Parallelen zum Erstlingswerk – wer also von „Harry Quebert“ begeistert war, wird es auch von diesem Roman sein. Die Parallelen beginnen schon damit, dass Dicker den gleichen Erzähler wählt: Marcus Goldman, ein junger, aufstrebender New Yorker Schriftsteller. Diesmal nur klärt er keinen Mordfall auf, sondern wird von der eigenen Vergangenheit eingeholt und versucht hinter ein dunkles Familiengeheimnis zu kommen.

Marcus hat sich nach Florida zurückgezogen, um eigentlich in Ruhe an seinem neuen Roman schreiben zu können. Aber eine zufällige Begegnung mit seiner Jugendliebe Alexandra lässt die Schatten der Vergangenheit wieder auferstehen und katapultiert Marcus wieder zurück in seine Kindheit und Jugend. Eine Zeit, als er sich für sein mittelständisches Elternhaus in Montclair schämt und nichts sehnlichster wünscht, als zur Familie seines Onkels in Blatimore zu gehören – eine scheinbar perfekte Familie: erfolgreich, wohlhabend, sympathisch. Jede Ferien verbringt Marcus bei seinem Onkel; sein Cousin Hillel und dessen Adoptivbruder Woody werden seine besten Freunde. Doch eines Tages geschieht eine Katastrophe, durch die die heile Welt zerbricht. Erst jetzt, Jahre später, findet Marcus heraus, was wirklich der Auslöser des ganzen Elends war.

Wie schon in seinem Erstling, beweist Dicker auch in seinem zweiten Roman sein Erzähltalent: Mit Hilfe von Rück-, Vorblenden und Cliffhangern baut er eine so immense Spannung auf, dass sich das Familiendrama stellenweise wie ein Thriller liest. Ich war gleich vom ersten Satz an in der Geschichte drin und bin nur so durch die Seiten geflogen. Trotz der verschiedenen Zeitebenen und Nebenstränge verliert Dicker nie den roten Faden und man kann der Handlung gut folgen. Diese Art des Erzählens vertuscht auch ein bisschen die Schwächen des Romans: so waren mir einige Handlungsstränge und Begebenheit doch zu arg konstruiert – wie etwa das Wiedersehen zwischen Marcus und Alexandra. Auch wenn Dicker schon bemüht ist, die Hintergründe für das Handeln seiner Figuren zu erklären, gibt es doch Begebenheiten, die mir am Ende fast zu oberflächlich abgehandelt wurden, wo mir etwas mehr Tiefe gefehlt hat – beispielsweise bei der Geschichte zwischen Saul und Patrick. Relativ gut gelungen wiederum sind Dicker seine Charaktere, sie sind tatsächlich sehr komplex, gefangen zwischen Gefühlen wie Eifersucht, Bewunderung, Hass, Neid und Liebe.

Im Großen und Ganzen ist Dickers Rezept aber aufgegangen: Er hat einen wunderbar spannenden und kurzweiligen Unterhaltungsroman geschaffen und was will man mehr?