Rezension

Der verlorene Sohn

Middletide
von Sarah Crouch

Bewertet mit 3 Sternen

In der fiktiven Welt der Literatur ist die erste große Liebe ein beliebtes Thema. Meist steht sie unter keinem guten Stern wie bei Shakespeares „Romeo und Julia“ oder ist gespickt von unerfüllter Leidenschaft wie in Goethes „Die Leiden des jungen Werthers“. Wenn ihr ein Happy End gegönnt ist, dann wird die Geschichte nur bis zu dem Punkt erzählt, an dem das Paar nach diversen Schwierigkeiten endlich zusammenfindet. In der Regel ist die „erste große Liebe“ nicht dafür gedacht, die einzige große Liebe zu bleiben und dennoch ist ihr eingeschrieben, dass man sie nie vergessen wird können. Als Elijah nach 15 Jahren zurück in seine Heimat kommt, hat er am meisten Angst davor und Hoffnung darauf, seiner Jugendliebe Nakita wieder zu begegnen. Als junger Uni-Absolvent hat er ihr gegenüber, sein Versprechen gebrochen, weil er lieber seinen eigenen Träumen nachgejagt ist und kehrt nun nach erfolglosen Jahren beschämt zurück. Ein großer Schriftsteller wollte er werden, doch sein Debütroman hat sich entgegen den Erwartungen nicht verkauft und weitere Romane hat Elijah nicht fertiggebracht. Zurück in der alten Hütte seines inzwischen verstorbenen Vaters widmet er sich einem einfachen Leben, baut Obst und Gemüse an, hält sich Hühner und hilft in der Werkstatt seines väterlichen Freundes aus. Er schafft es auch, eine zarte fragile Verbindung zu Nakita zu knüpfen, doch dann findet sich auf seinem Grundstück die Leiche der bildhübschen Ärztin Erin und Elijah gerät ausgerechnet wegen seines Romans unter Mordverdacht.

Sarah Crouchs Roman hat eigentlich alles, was es braucht für eine spannungsgeladene Lektüre. Ein geläuterter Held, der um seine Jugendliebe kämpft und sich bemüht die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen, gerät in den Fokus einer Mordermittlung und muss seine Unschuld beweisen. Klug inszeniert die Autorin die Handlung erzählend aus verschiedenen Perspektiven, wechselt zwischen Vergangenheit und Gegenwart, um den Leser so lange wie möglich im Ungewissen zu lassen. Zwischendrin keimt in mir als Leser wirklich Zweifel an der Unschuld von Elijah auf, wenn auch nur kurz. Denn letztlich ist die Handlung gerade zum Ende hin doch vorhersehbar und die Figuren nicht ambivalent genug gezeichnet. „Middletide“ weist mir zudem eine zu große Nähe zu Delia Owens Roman „Der Gesang der Flusskrebse“ auf, wobei er erzählerisch und in der Tiefe nicht an das Level von Owens heranreicht. So wohlwollend ich Nakitas und Elijahs romantische Beziehung verfolgt habe, so überkonstruiert und nicht ganz nachvollziehbar erschien mir am Ende die große Intrige der Ärztin. Vielleicht würde ich das Buch anders bewerten, hätte ich die „Flusskrebse“ nicht erst kürzlich gelesen. Ob bewusst oder unbewusst – die vielen Ähnlichkeiten fordern den Vergleich zwischen diesen beiden Romanen geradezu heraus und „Middletide“ zieht hier leider den Kürzeren.