Rezension

Derb und donnernd

Mittelreich - Josef Bierbichler

Mittelreich
von Josef Bierbichler

Bewertet mit 3 Sternen

Als Theater- und Filmschauspieler ist Josef Bierbichler vor allem für seine eigenwilligen und kantigen Darstellungen bekannt. Eigenwillig und kantig ist auch sein vom Feuilleton hochgelobter Roman „Mittelreich“. Ein durchaus sprachgewaltiges Werk, in dem Bierbichler mit offener Brutalität gegen Bigotterie und Nationalsozialismus wettert. Erzählt wird die Geschichte einer Bauern- und Gastwirtsfamilie an einem See im bayerischen Voralpenland – vom Ersten Weltkrieg bis in die 1980er Jahre. Im Mittelpunkt steht der Seewirt Pankraz – Wirtshauserbe wider Willen. Sein Vater hat das Gasthaus zur Jahrhundertwende mit eigener Kraft von einem kleinen Saisonlokal zu einer großen Ausflugswirtschaft hochgewirtschaftet. Aus einst armen Bauern wurden mittelreiche Bürger. Im Ersten Weltkrieg wird aber der älteste Sohn des alten Seewirts und eigentlicher Erbe des Hofs so schwer verletzt, dass sein Bruder Pankraz in die Fußstapfen des Vaters treten muss. Dabei wäre er doch lieber Künstler geworden. Als ihn später sein eigener Sohn Semi anfleht, ihn nicht auf das katholische Internat zu schicken, macht er die gleichen Fehler seines Vaters. Die fast 80 Jahre Familien- und auch deutsche Geschichte schildert Bierbichler sehr imposant und dicht. Sein Hauptaugenmerk liegt aber deutlich auf der Zeit um den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegsjahre. So erzählt er, wie der Nationalsozialismus gerade in der bayerischen Idylle auf fruchtbaren Boden fällt und auch noch bis weit in die 60er Jahre hinein beinahe verklärt wird. Erst kommen die Sommerfrischler, dann die Flüchtlinge und schließlich die Hippies aus der Stadt. Und immer wird die tiefsitzende Abneigung der Landbevölkerung gegenüber dem Fremden deutlich. Was den Roman ausmacht und auch einzigartig macht, ist seine Sprache: kraftvoll, derb, donnernd – oft aber auch sehr poetisch, fast schon sprachverliebt. Bierbichler ist kein Erzähler, der sich zurücknimmt. Er steht mächtig und selbstbewusst mitten in seiner Geschichte. Das ist aber auch ein Nachteil, denn neben der markigen Sprache wirken die Charaktere fast schon schlicht und die Handlung driftet zu oft ins Episodenhafte ab. Nicht richtig anfreunden konnte ich mich mit dem Schreibstil. So verwendet Bierbichler fast ausschließlich verschachtelte, verschwurbelte Partizipialsätze. Dazu kommen befremdlich viele sexuelle Szenen, die alle irgendwie brutal oder abartig sind. „Mittelreich“ ist ein bedrückender Antiheimatroman, der al das hervorholt, was sonst so gerne unter den Teppich gekehrt wird. Es gibt auch sehr viele intelligente und auch poetische Sätze. Oft erschien es mir aber so, als ob Bierbichler mit aller Gewalt versucht, Tabus zu brechen und seine Hasstiraden gegen alles und jeden geradezu mit dem Vorschlaghammer auf den Leser einprügelt. Ein interessanter Roman, der aber keine leichte Kost ist und ganz sicher kein Roman für zwischendurch.