Rezension

Derek B. Miller: Ein seltsamer Ort zum Sterben

Ein seltsamer Ort zum Sterben - Derek B. Miller

Ein seltsamer Ort zum Sterben
von Derek B. Miller

Ich habe bitterlich geweint. Und erheitert geschmunzelt.
Dieses Buch ist etwas besonderes und seit langem das Beste, was ich gelesen habe.

Für jemanden wie mich, der normalerweise absolut nichts für Romane übrig hat und den man damit im Laufschritt um den Block jagen kann, ist dies ein doppeltes Lob.

Im Nachhinein war es diese eine Aussage, die mich dazu brachte, das Buch in die Hand zu nehmen. Gran Torino. Viele von ihnen werden jetzt nachdenklich die Stirn runzeln. Sagt ihnen nichts? War das nicht ein Film? Oder doch ein Song? Quatsch, das ist ein Auto. Naja, genau genommen ist es all das. Es ist ein preisgekrönter Film mit Clint Eastwood in der Hauptrolle und zugleich der gleichnamige Titelsong, geschrieben und gesungen von Jamie Cullen.

Nun, warum mich das überzeugte? Ganz einfach. Dieselbe Kollegin, die mir vor langer Zeit Gran Torino empfahl, legte mir auch Ein seltsamer Ort zum Sterben ans Herz, mit der Anmerkung, dass es mir gefallen MÜSSE, da ich Gran Torino liebte.

Nun, sie hatte Recht. Ich liebe den Film, ich bin begeistert von diesem Roman. Diesem Werk, dass mich berührt und mir die Tränen in die Augen getrieben hat.

Die Story ist leicht zusammengefasst. Da ist dieser alte Mann. Ein jüdischer Amerikaner, ein Koreakriegsveteran, der alle seine Freunde, seine Frau und sogar seinen Sohn überlebt hat, der – ihn als Vorbild – ebenfalls in den Krieg zog und niemals zurückkehrte. Nun ist er zu seiner Enkelin, die eigentlich eher wie eine Tochter ist, und ihrem Mann nach Norwegen gezogen. Er kennt dort niemanden, spricht die Sprache nicht und hat sich längst damit abgefunden, dass er alle seine Chancen im Leben vertan hat.

Bis zu diesem bedeutungsschweren Tag, an dem er einen Streit in der Wohnung über ihm belauscht, durch den Türspion blickt und eine völlig verängstigte Frau auf seiner Türschwelle sieht. Kurz entschlossen öffnet er die Tür und holt sie hinein, wobei ihm zum ersten Mal der kleine Junge auffällt, den sie an ihre Brust presst.
Dann geht alles schnell. Die Frau ist starr vor Schreck, er versteckt sich mit dem Jungen und beide müssen miterleben, wie die Tür aufgebrochen wird und die Frau ermordert wird. Kurz darauf können die beiden fliehen. Auf der Flucht vor den Söldnern, die den Jungen wollen, der Polizei und vielleicht auch vor der Vergangenheit, die stetig näher rückt.

Doch ein Krimi? Nein, eigentlich nicht. Ja, es gibt diesen Mord und dies wird auch nicht das einzige Opfer bleiben, aber darum geht es nicht.
Es geht um einen Mann, der alles im Leben verloren glaubte, der sich selbst mit Schuld belädt, weil er niemanden retten konnte, im Gegenteil. Er ist schuldig, weil er noch da ist.
Erst in dem Jungen, in der Not, in der einzigen Chance ihn zu retten, findet er wieder einen Sinn im Leben. Alles, seine gesamten Bemühungen, drehen sich jetzt darum, den Jungen zu beschützen. Der kleine ‘Paul’, der kein Englisch kann, der keine Mutter mehr hat und doch das Leben als reines, vollkommenes Etwas verkörpert. Eine zweite Chance den Sohn zu retten, den er sterben ließ?!

Die Verfolgungsjagd ist weniger spektakulär als trickreich. Sheldon, der als Ex-Marine auch nach 65 Jahren noch nicht verlernt hat, worauf es ankommt, lässt sich immer wieder etwas Kluges einfallen, dass den Leser zum Schmunzeln bringt, ohne dabei unrealistisch zu wirken.

Die Erinnerungen, die ein steter Begleiter Sheldons sind, die sich oftmals sogar in verstorbenen Personen manifestieren, mit denen er seine aktuelle Situation diskutiert, ziehen sich wie ein Leitfaden durch die Geschichte. Denn Erinnerungen, das was wir erlebt haben, machen uns zu den Menschen, die wir sind.
So verhält es sich mit dem Hauptcharakter. Aber auch mit ‘Paul’. Und sogar mit Enver, dem Söldner aus dem Kosovo, mit Burim, der eigentlich nur mit seiner Freundin in Norwegen glücklich werden will, statt sich in verbrecherische Aktivitäten verstricken zu lassen. Selbst Sigrid, die leitende Hauptkommissarin, ist von ihrer Vergangenheit geprägt und diese führt sie schließlich in das Ferienhaus, das als Platz für den Showdown herhalten muss.

Dieser Roman handelt von der Vergangenheit, der Zukunft, von Schuld und Vergebung, von Familie und von Liebe. Von den kleinen Dingen, die unser Alltagsleben zu etwas besonderem machen. Die Dinge, an die wir uns erinnern, wenn jemand, der uns nahe stand, einmal nicht mehr ist. Von Worten, die wir unbedacht gesagt haben und von jenen, die wir in vollem Bewusstsein vorgetragen haben. Von Liebeserklärungen und Anfeindungen. Von Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Aber vor allem von einem: Verständnis!