Rezension

Detailreich und informativ, jedoch nur für starke Mägen ​

The Butchering Art - Lindsey Fitzharris

The Butchering Art
von Lindsey Fitzharris

Bewertet mit 4 Sternen

Lindsey Fitzharris widmet sich in diesem Sachbuch einem wirklich spannenden Thema, das in sonstigen medialen Darstellungen des 19. Jahrhunderts gerne mal unter den Tisch fallen gelassen wird: die katastrophale hygienische Situation in (britischen) Krankenhäusern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Zu Beginn des Buches widmet Fitzharris sich einer allgemeinen Bestandsaufnahme der Situation in Krankenhäusern, insbesondere der Chirurgie, Mitte des 19. Jahrhundert. Dabei geht sie auf den Beruf des Chirurgen und die damalige Abgrenzung der praktischen Medizin zur Wissenschaft ein, auf die Trennung zwischen praktizierenden und dozierenden Chirurgen, auf die verschiedenen Theorien zu Krankenhauskeimen und darauf, wieso vor Joseph Lister kaum Maßnahmen dagegen ergriffen wurden.

Für mich eröffnete sie damit ein Themenfeld, über das ich bisher kaum etwas wusste, und beschreibt es sehr ausführlich, detailreich und informativ.
Diese ausführliche Einführung hat jedoch auch zur Folge, dass das eigentliche Thema des Buches, Antisepsis, erst nach der Hälfte wirklich zur Sprache kommt. Man sollte das Buch also eher lesen, wenn man allgemeines Interesse an dem Thema Hygiene, Chirurgie und Infektion zu dieser Zeit hat und nicht, wenn man konkrete, kompakte Informationen über die Entwicklung von Desinfektionsmitteln haben will.

Fitzharris beweist dabei eine Leidenschaft für ihr Fachgebiet und besonders fürs Detail, weshalb die blutigen Beschreibungen von Operationen und ihren Umständen zwar Bilder vor dem inneren Auge entstehen lassen, jedoch auch nur für starke Mägen geeignet sind. Auch die düsteren, aber realistischen Beschreibungen der schmutzigen und ärmlichen Lebensumstände in wachsenden Großstädten zur Zeit der Industrialisierung sorgen für eine anschauliche und unheimliche Atmosphäre.

Hauptperson des Buches ist Joseph Lister, der eine Methode zur Desinfektion von Wunden, insbesondere während Operationen, entwickelt hat. Fitzharris erzählt von seinem Leben und davon, wie seine Erfahrungen als Student und später Chirurg ihn dazu motiviert haben, Methoden gegen den Tod durch Krankenhauskeime und Infektionen zu finden. Zu lesen, wie er sich mit seiner Intelligenz und seinem Selbstbewusstsein gegen die Skeptiker seiner Zeit durchgesetzt und seine eigene Arbeit stets hinterfragt hat und verbessern wollte, war für mich sehr beeindruckend und inspirierend.

Auch die Skepsis und Kritik, denen Lister nach seinen Entdeckungen noch gegenübertreten musste, haben mich überrascht und auf interessante Weise gezeigt, dass und warum die wissenschaftliche Gemeinschaft nicht unbedingt offen gegenüber revolutionären Ideen war, die ihre bisherigen Ansätze diskreditieren.

Dabei berücksichtigt Fitzharris zwar nicht Listers Wunsch, seine private Biografie aus der Darstellung seiner wissenschaftlichen es Arbeit herauszuhalten, legt den Fokus jedoch stets auf Listers wissenschaftliches Streben und erwähnt Privates nur dann, wenn es für seine Arbeit wichtig war.

Fitzharris arbeitet mit einer Vielzahl von Quellen und hat für ihr Buch offensichtlich eine beeindruckende, vermutlich jahrelange Recherchearbeit geleistet. Daher finden sich im Anhang des Buches auch etliche Quellenangaben. Im restlichen Teil des Buches werden diese jedoch nicht über Fußnoten angekündigt, was das Lesen angenehmer macht, weil man nicht das Gefühl hat, bei jedem zweiten Satz in den Anhang blättern zu müssen. Möglicherweise wäre es aber gut gewesen, die ausführlicheren Anmerkungen, die nicht nur die Quelle sondern auch Erklärungen beinhalten, zu kennzeichnen.

Bei allem Respekt für Fitzharris‘ Ausführlichkeit und Leidenschaft für das Thema, kommt sie doch auch manchmal etwas zu sehr von ihren eigentlichen Erzählungen ab. Wenn sie den Namen einer weiteren Person, vor allem eines anderen Chirurgen, nennt, schweift sie häufig für einen recht weitreichenden Exkurs in deren Leben ab, und nimmt ihrer Erzählung so ein wenig die Übersichtlichkeit. Man fragt sich, ob wirklich alle genannten Namen und Details, auch aus Listers Kindheit und seinem Studium, notwendig waren, um die Geschichte seiner Arbeit zu erzählen.

Fazit

In „The Butchering Art“ zeichnet Lindsey Fitzharris ein bildreiches, anschauliches und gleichermaßen faszinierendes wie schockierendes Bild der katastrophalen hygienischen Zustände in Krankenhäusern Mitte des 19. Jahrhunderts. Mit offensichtlicher Begeisterung für das Thema und manchmal etwas zu großer Detailtreue erzählt sie die faszinierende Geschichte des unbeirrbaren Joseph Lister und seiner Suche nach einem Mittel gegen Infektionen.