Rezension

Deutschland - Land mit einem Janusblick?

Wer hat Angst vor Deutschland? - Andreas Rödder

Wer hat Angst vor Deutschland?
von Andreas Rödder

Der Mainzer Historiker widmet sein vorliegendes Buch einer hochaktuellen Problematik: wie ist die Stellung Deutschlands in den weiteren Entwicklungen Europas zu sehen?
Eine schwierige Frage, auf die es keine einfachen Antworten gibt, dafür aber viele interessante!

Die Stellung Deutschlands nach der Reichsgründung 1871 wurde von den Nachbarn mit Argusaugen betrachtet. Ein Koloss aufgrund wirtschaftlicher und oftmals auch militärischer Stärke. Die Erwartungen an diese europäische Zentralmacht waren ebenso groß, wie zugleich auch die Skepsis bis hin zur Angst vor Deutschland.
Der Autor gliedert den Inhalt folgerichtig in verschiedene historische Epochen: 
Beginnend mit der Reichsgründung bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Jahre 1914 schildert er einen schwierigen Weg, in dem das neu gegründete Reich auf der Suche nach seinem Platz im Gefüge der traditionellen europäischen Mächte sucht. Einerseits hoch geachtet und bewundert, andererseits begleitet von einem hohen Maß an Skepsis und Abgrenzung.
Die unrühmliche Epoche der beiden Weltkriege (1914-1945) werden im darauffolgenden Kapitel betrachtet. In dieser Zeit "verspielt" Deutschland seine Sympathien. Mehrfach tritt es den Nachbarstaaten gegenüber aggressiv auf und verursacht unsagbares Leid, hieran kann auch das zwischenzeitlich vorsichtig aufflackernde Demokratie in den Jahren der Weimarer Republik nichts ändern.
Die Uhren stehen auf Null - Deutschland am Boden. Es hat zahlreiche Staaten der Welt und ganz Europa, ebenso wie sich selbst, an den Rand des Abgrunds und der totalen Vernichtung geführt.
Wie umgehen mit diesem besiegten Land? Eine Frage die sich die siegreichen Alliierten und die deutsche Bevölkerung aus unterschiedlichen Perspektiven gleichermassen stellten. Es begann ein Weg, der zur Spaltung des Kontinents und der Welt in zwei Machtblöcke führte. Der Weg beider deutscher Staaten und deren Einbindung in die beiden konträren politisch-ideologischen Blöcke wird eindringlich beschrieben und am Ende dieses Kapitels steht eine jähe und kaum für mögliche gehaltene Wendung: Die Wiedervereinigung Deutschlands läutet das Ende des Kalten Krieges ein.
Der schwierige und mit einem hohen Maß an Skepsis begleitete Weg des wiedervereinten Deutschlands betrachtet Rödder im IV. Kapitel. Die Deutschen müssen sich als Nation quasi neu erfinden, verliefen die Lebensgeschichten der Bürger doch in sehr unterschiedlichen politischen Regimen, die -wen wundert es- zu sehr unterschiedlichen Betrachtungsweisen für das Alltagsleben mit den hieran geknüpften Erwartungen führte. Ein Weg mit Auf und Ab, und: er ist bis heute nicht abgeschlossen.
Auch hier fehlt nicht die Außensicht der Nachbarstaaten in Europa. Auch hier paaren sich Skepsis und Hoffnung, gelegentlich auch Forderungen und Erwartungshaltungen, die schwierig in Einklang zu bringen sind, trotz sich erweiternder Gemeinsamkeiten in Form einer Europäischen Union.
Ein Resümee der bisherigen Ausführungen, verbunden mit einem Blick in die Gegenwart und eine Vorausschau in die Zukunft beringt das abschließende Kapitel: "Wer hat Angst vor Deutschland?"

Ein kompaktes Werk mit hohem Anspruch zu verfassen ist wahrhaft kein leichtes Unterfangen! Andreas Rödder ist es aus meiner Sicht hervorragend gelungen!
Aus historischer Perspektive bestens durch Quellenmaterial unterfüttert und aus aktueller politischer Sicht argumentativ gekonnt formuliert, entwickelt Andreas Rödder eine Vision für Deutschlands Weg in die Zukunft als wesentlicher Teil eines starken Europa. Diesem Anspruch zu genügen bedeutet klare Zielvorstellungen zu haben, selbstbewußt aufzutreten, ohne die historischen Befindlichkeiten und die Sichtweisen der europäischen Nachbarn aus dem Auge zu verlieren oder gar zu missachten.
Der Janusblick ist stets in verschiedene Richtungen nach außen gerichtet - der Blick nach innen soll und darf hierbei jedoch nicht verloren gehen. Eine Herkulesaufgabe.
Die stichhaltige und dennoch gut lesbare Form des Schreibens motiviert den Leser nachhaltig sich mit diesem hochaktuellen Thema weiter zu befassen. Es motiviert zur Suche nach Fakten und Argumenten über das vorliegende Buch hinaus und es lädt zum Mitdenken ein.
Mehr kann und darf man von einem modernen Sachbuch zu einem nicht ganz einfachen Thema wahrhaft nicht erwarten - absolut lesenswert!