Rezension

deutschsprachige Musikgeschichte

Schmalz und Rebellion -

Schmalz und Rebellion
von Jens Balzer

Bewertet mit 4 Sternen

Nach dem Zweiten Weltkrieg sehnten sich die Deutschen in die Ferne, zu einem leichten, fröhlichen Leben, weg von Trümmern und Zusammenbruch. Musikalisch fand diese Sehnsucht ihren Ausdruck in Stücken wie den „Capri Fischern“ und äußert sich in den Liedern von Freddy Quinn. Später kommt die Beatmusik auf und viele bekannte, englischsprachige Künstler nehmen ihre Lieder in deutscher Sprache auf, beispielsweise die Beatles. Andererseits singen deutsche Beatmusiker, die Rattles oder die Lords, in sehr einfachem und meist unkorrektem Englisch. Auch in der DDR kommt die Beatbewegung an, allerdings werden die Bands nach kurzer Zeit verboten. In den 70ern beherrschen Liedermacher und Krautrock die deutschsprachige Musik. International anerkannt sticht die Band Kraftwerk hervor. Die deutsche Sprache wird verfremdet, um sie sich wieder aneignen zu können. Es folgen Punkbands, sowohl im Westen als auch im Osten Deutschlands, die kommerzielle NDW und Künstler wie Udo Lindenberg und Herbert Grönemeyer, deren eigene Sprache Einfluss auf die Alltagssprache nimmt. Nach einer Phase, in der Englisch als Sprache der Popmusik tonangebend ist, kommt in den 90ern der deutsche HipHop auf und Bands wie Rammstein, die mit dem Deutschtum kokettieren. Seit zehn Jahren boomt die deutschsprachige Musik und ist vielschichtig wie nie.

Meinung

Jens Balzer erzählt die Geschichte der deutschsprachigen Musik ab den 1950er Jahren und bezieht dabei sowohl die DDR Künstler:innen als auch die Musik der Gastarbeiter, die mir bisher völlig unbekannt ist, mit ein. Somit bietet das Sachbuch einen gelungenen Querschnitt deutscher Popmusik und zeigt, wie sich die deutsche Musiksprache in den jeweiligen Jahrzehnten bis heute entwickelte.

Dabei entdeckt man spannende Bands, manche davon waren mir kaum, andere gar nicht bekannt. Besonders hervorheben möchte in dem Zusammenhang die Playlist, die per QR Code im Buch auf Spotify abrufbar ist. Es ist wunderbar die Titel zu hören, weil sie das ganze Thema abrunden und durch die Analysen im Buch eine neue Sichtweise auf die Hintergründe der Texte eröffnen.

Einen erheblichen Kritikpunkt habe ich allerdings betreffend des deutschen Hip Hops in den 90ern. Dieses Kapitel wird meiner Ansicht nach zu kurz und zu ungenau behandelt. Es gab so viele gute Bands, z.B. Freundeskreis, Samy Deluxe, die Beginner oder Moses P. uvm. Am meisten stört mich, dass auf eine Band wie Tic Tac Toe verwiesen wird, weil die Mädels „scheiße“ und „verpiss dich“ singen, aber kein Wort über Sabrina Setlur und „Die neue S Klasse“ verloren wird. Tic Tac Toe war eine gecastete Marketingstrategie, Sabrina Setlur hingegen authentisch. Meiner Ansicht nach hat Sabrina Setlur die weibliche deutsche Sprache ganz neu definiert und sie wirklich mit keiner Silbe zu erwähnen, ist ein absoluter Schwachpunkt des Buches.

Zum Ende hin weist der Autor darauf hin, dass Diversität in der Musik nicht gleichbedeutend mit mehr Toleranz ist, was natürlich auf Texte der sogenannten Gangsta Rapper abzielt. Zudem betont Jans Balzer auch, dass es keine Popmusik ohne Aneignung oder Umdeutung gibt. Sich etwas Fremdes anzueignen ist notwendig, um seine eigene Identität zu finden.

Das Buch bietet einen sehr gut ausgewählten Querschnitt durch die deutschsprachige Musikgeschichte. Es hat mir sowohl Neues eröffnet als auch Vergessenes wieder hervorgeholt. Textbeispiele der Songs und die Playlist ergänzen die musikalische Reise ganz wunderbar.

 

Fazit

Nicht nur für Musikliebhaber, sondern für jeden, der sich gerne mit Sprache und Musik beschäftigt