Rezension

Dicht und packend erzählt

Ohne jeden Zweifel - Tom Rob Smith

Ohne jeden Zweifel
von Tom Rob Smith

Bewertet mit 4.5 Sternen

Als wir nebeneinander im Fond eines Taxis saßen, die Hände verschlungen wie ein durchgebranntes Liebespaar, fiel mir ihr Atem auf. Er roch schwach metallisch und erinnerte mich an geriebenen Stahl, falls es so etwas gab. Um ihre Lippen zog sich eine schmale blaue Linie, als wäre sie extremer Kälte ausgesetzt gewesen. Meine Mum erriet meine Gedanken, öffnete den Mund und zeigte mir ihre Zunge. Die Spitze war so schwarz wie Sepiatinte. Sie sagte:
"Gift."

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INHALT:
Daniel ist gerade auf dem Weg vom Supermarkt nach Hause, als er einen Anruf von seinem Vater bekommt - der ihm mitteilt, dass seine Mutter offensichtlich unter einer Psychose leidet und eingewiesen werden musste. Doch bevor Daniel sich auf den Weg dorthin machen kann, um seinen Eltern beizustehen, wird seine Mutter bereits aus dem Krankenhaus entlassen und flieht zu ihm, um ihm ihre Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte, die voll ist von Anschuldigungen und Verbrechen, und die auch Daniels Vater stark belastet...

MEINE MEINUNG:

SCHREIBSTIL
Die Geschichte um Daniel, seine Eltern und eine Verschwörung in einem schwedischen Dorf wird aus zwei Perspektiven erzählt: Der von Daniel selbst und der seiner Mutter, die ihm ihre Sicht der Dinge darlegt. Dabei gelingt es Tom Rob Smith verblüffend gut, die beiden Stimmen unterschiedlich zu gestalten. Zwar ist immer ersichtlich, wer gerade spricht, da die Erzählungen der Mutter auf den Seiten versetzt sind - was übrigens sehr besonders aussieht -, aber auch ohne diese Kennzeichnung wirken die beiden Figuren in ihrer Art und Weise der Berichterstattung sehr unterschiedlich. Der Autor konzentriert sich dabei viel auf Dialoge, ebenso aber auch auf Beschreibungen, die sich ausgleichen und so ein stimmiges Bild ergeben.

CHARAKTERE
Daniel ist der Sohn liebevoller Eltern, genau diese haben ihn jedoch auch lange vor den schrecklichen Dingen des Lebens bewahrt, sodass er heute nicht wirklich für sich einstehen und ihnen nicht einmal mitteilen kann, dass er schwul ist. Seine Mutter Tilde wirkt über weite Strecken äußerst klar, hat zwischenzeitlich jedoch auch deutliche paranoide Momente, die es einem immer wieder schwer machen, zu entscheiden, ob ihre Aussagen nun stimmen oder nicht. Daniels Vater lernt man kaum persönlich kennen, stattdessen erfährt man von ihm hauptsächlich aus Tildes Erzählungen, weswegen man ihm schon nach kurzer Zeit Misstrauen und Abneigung entgegen bringt, obwohl man nur wenig von ihm erfährt. Insbesondere jedoch die Dorfgemeinschaft ist wunderbar charakterisiert - die Herrschaft einzelner Personen, die Unterordnung der Frauen, der feste Zusammenhalt. Alle scheinen ihre kleinen, fiesen Geheimnisse zu haben, die dafür sorgen, dass man keine der Figuren so schnell wieder vergisst.

STORY
Interessant an der Geschichte ist vor allem, dass man nie weiß, was man denken oder von den agierenden Charakteren halten soll. Ist Daniels Mutter verrückt? Ist sein Vater in die schrecklichen Ereignisse verwickelt, die in ihrem Dorf vorgehen? Oder spielt Tildes Wahrnehmung verrückt und sie ist tatsächlich so psychisch labil, wie ihr Mann behauptet? Genau wie Hauptcharakter Daniel selbst weiß man nie, woran man ist. Auf der einen Seite wirkt die Geschichte seiner Mutter manchmal abstrus, ihre Gedankensprünge sind nicht immer nachvollziehbar, ihre Anschuldigungen schrecklich. Gleichzeitig sind ihre Argumente schlüssig, ihre Beweise durchaus annehmbar. Immer wieder werden die eigenen Überlegungen durch die nächste Enthüllung außer Kraft gesetzt, wodurch die Gedanken nie zur Ruhe kommen.

UMSETZUNG
Das liegt sicherlich auch an der fantastischen Atmosphäre, die der Autor hier erschafft: Eine Atmosphäre von unterschwelliger Gewalt, von Intrigen, Lügen und Verrat. Das Geflecht aus den Anschuldigungen der Mutter und der gleichzeitigen Beteuerung des Vaters, er habe all dies nicht getan, zieht sich immer fester zusammen. Bis zum Ende bleibt das Ganze absolut spannend und mitreißend, so fesselnd, dass man es kaum noch aus der Hand legen mag. Zuletzt werden die Hinweise gut zusammengeführt und ergeben eine überraschende, aber auch glaubwürdige Lösung. Allerdings wird nicht auf alles vorher Gesagte noch einmal eingegangen bzw. nicht alles wird berücksichtigt, weswegen ich nicht uneingeschränkt zufrieden bin - aber zum allergrößten Teil.

FAZIT:
Tom Rob Smiths "Ohne jeden Zweifel" ist ein atmosphärischer, spannender und gut durchdachter Thriller, der aufgrund seiner authentischen Geschichte rund um ein verschworenes Dorf voller Geheimnisse nicht mehr loslässt. Absolut empfehlenswert für Fans von dichten und packenden Geschichten! 4,5 Punkte.