Rezension

dicke Leseempfehlung

Henkersmarie - Astrid Fritz

Henkersmarie
von Astrid Fritz

Bewertet mit 5 Sternen

Anno 1525

Marie ist die einzige Tochter des Henkers von Rothenburg. Von klein auf bekommt sie zu spüren, dass der Beruf ihres Vaters auf sie, ihre Brüder und ihre Eltern gravierende Auswirkungen hat. In vielen Bereichen des täglichen Lebens werden sie ausgegrenzt. Die Menschen fürchten sich vor dem Henker, viele verachten ihn gar. Man möchte nicht, dass sie auf dem Markt die Waren berühren, verbietet ihnen, sich beim Kirchgang oder in Wirtshäusern an die Bänke und Tische neben die anderen Bürger zu setzen, verlangt, dass sie sich durch auffällige Kleidung oder Bänder als Henker und dessen Angehörige kenntlich machen. Das ambivalente Verhältnis der Menschen für diesen Beruf ist tiefgreifend. Sie schätzen es, dass er teils drakonische Strafen an den Verurteilten vollzieht, aber sie wollen persönlich nichts mit ihm zu tun haben. Darunter leidet vor allem Marie sehr und als ihr klar wird, dass sie wahrscheinlich nie aus dieser Zwangslage herauskommen wird, da eine Henkerstochter nur einen Henker ehelichen kann, begehrt alles in ihr auf und sie beschließt, dass ihr Leben anders aussehen soll.

Man hat vom Henker durch viele andere Bücher und Filme sicherlich ein ungefähres Bild dieses Berufsstandes im Kopf. Aber Astrid Fritz rückt dies auf eindringliche und durch gründliche Recherche sehr fundierte Weise  zurecht. Der Henker des Mittelalters hat weit mehr geleistet, als nur Leute gehängt und geköpft und das Martern und Rädern waren keineswegs seine Hauptaufgaben. Maries Vater ist ein Mann, der sein Handwerk sehr integer und gottesfürchtig ausübt, der ein großes mitleidiges Herz hat, welches er gleich im Prolog beweist, als er eine Kindsmörderin vor dem für sie vorgesehenen Schicksal bewahrt. Das harte Los des Henkers und seiner Familie, die Ablehnung der Mitmenschen, die Ungerechtigkeit und die vielfältigen Benachteiligungen sind erschütternd zu lesen und man fühlt mit Marie, die ausbrechen möchte.

Astrid Fritz schafft es, dass man große Empathie für die Hauptpersonen verspürt und obwohl die Geschichte viele deprimierende und auch grausig-reale Hintergründe hat und nicht mit Fakten geizt, die einem bei genauerer Betrachtung durchaus das Fürchten lehren, fühlt man dennoch den Lebensmut der Henkersfamilie und freut sich mit ihnen an den kleinen Dingen des Lebens. Die Charaktere sind sehr glaubhaft und abwechslungsreich und eine Vielzahl von starken Nebendarstellern runden das Ensemble harmonisch ab. Der Spannungsbogen hält sich bis zum Finale und am Ende freut man sich nicht nur über den historischen Nährwert dieses hervorragenden Romans sondern auch über den stimmigen Schluss.

Ich war restlos begeistert, hätte mir sehr gewünscht, dass es hierzu eine eigene Leserunde gegeben hätte, denn das Buch bietet jede Menge Aha-Erlebnisse und Gesprächsstoff. Von mir eine ganz dicke Leseempfehlung.