Rezension

Die Abbey Road war sein Schicksal ( nicht Caine, Michael Caine! )!

Der Mann, der alles sah -

Der Mann, der alles sah
von Deborah Levy

Bewertet mit 5 Sternen

Exzeptionelles Buch einer außergewöhnlichen, meisterlichen Autorin, die hier ein Buch auf sehr hohem Niveau präsentiert! Unbedingt lesen!

Wer kennt nicht das famose Cover des Abbey Road - Albums der Beatles, auf welchem Paul McCartney barfuß mit den anderen drei hintereinander über diesen Zebrastreifen ebenjener Straße trotten. Und danach kam ja das Fama auf, Paul sei bei einem Unfall verstorbene, aber das nur am Rande.  Saul Adler, 28 Jahre alt, will diese Abbildung nachstellen zusammen mit der Künstlerin Jennifer Moreau, 23. Aber wenn man solch eine Rekonstruktion verfolgt, sollte man tunlichst vorsichtig sein.  Saul wird angefahren, aber nur leicht verletzt. Jennifer verschmäht und verläßt ihn.  Saul ist Historiker. Sein Schwerpunkt liegt auf dem sozialistischen Osteuropa. Der kulturelle Widerstand gegen die Nazis annodazumal interessiert ihn ganz besonders. Deswegen will er mehrere Monate forschend in der DDR verbringen.  Als er in Ostberlin quasi aufschlägt, ist der 30jährige Walter Müller, Dolmetscher, für ihn zuständig. Er fängt mit ihm als auch dessen Schwester Luna eine Troisième L'amour an. Walter pflegt zwei Existenzen. Seine offizielle systemkonforme und eben seine klandestine. Luna sehnt sich nach Reisen.  Das Buch taucht unter anderem sehr authentisch in die Endzeit und verlorene Welt der DDR ein. Wer weiß in der heutigen Zeit des Überflußes noch wie es ist sich nach Ananas, Bananen und Meeresfrüchten zu verzehren?  2016, als die Brexiteers Front machen scheint sich der Kreis auf unheimliche Weise zu schließen. Saul wird mit 56 Jahren tatsächlich und erneut auf der Abbey Road von einem Fahrzeug erwischt, auf jenem berühmten Zebrastreifen ... Saul ist diesmal aber nicht glimpflich davongekommen. Schwerverletzt kommt er ins Hospital.  Ein poatoperatives Delir ( Durchgangssyndrom ) und wohl Nebenwirkungen der Medikamente heben in der Ebene seiner Reminiszenzen alle Begrenzungen auf. Er springt hin und her. Nach und nach enthüllt sich mehr und mehr von Sauls Vergangenheit sowie seiner Familie.  Deborah Levys Sprache ist poetisch, charismatisch, entrückend. Sie generiert beim Leser eine ganz eigene Magie. Man wird radikal subjektiv in Sauls Perspektive geschleudert. Man wird im Unklaren darüber gelassen, was nun wahr ist oder eben nicht. Verschiebungen, Verzerrungen, wie seltsame Spiegel, die die Reflektion abnorm wiedergeben, aber auf faszinierende Weise.  Unerwartete Kehren, Clous, klasse pointierte Höhepunkte, Klimax und Antiklimax, sowie geschickte Irreführung und intellektuelle Anregung des Lesers.  Deborah Levy ist eine Meisterin der literarischen Zunft, nein, eine Magierin! Geschickt jongliert sie mit Wortgebilden und Metaphern, lenkt den Leser raffiniert, der sich gerne in ihrem Buch verliert.  Es läßt einen nicht kalt, ist emotional umgarnend auf erfolgreiche Art, involviert einen tief in eine superbe Handlung voller Enigmen und wird einen noch lange nach dem Lesen beschäftigen.  Deborah Levy (* 6. August 1959 in der Südafrikanischen Union) ist eine britische Schriftstellerin. Deborah Levys Vater war Historiker und Mitglied im African National Congress. Er wurde vom Apartheid-Regime inhaftiert und musste nach seiner Freilassung 1968 aus Südafrika nach Großbritannien emigrieren, die Eltern ließen sich 1974 in London scheiden. Levy besuchte bis 1981 das Dartington College of Arts und begann, Theaterstücke zu schreiben, die auch von der Royal Shakespeare Company angenommen wurden. In Cardiff leitete sie die Manact Theatre Company. Sie verfasste eine große Anzahl von Stücken und auch Beiträge für Radio und Fernsehen. 1989 bis 1991 hatte sie ein Stipendium am Trinity College, Cambridge. Mit einer Lannan Literary Fellowship im Jahr 2001 schrieb sie den Roman Pillow Talk In Europe And Other Places fertig. Die Romane Swimming Home und Hot Milk kamen im Jahr 2012 und 2016 auf die Shortlist des Man Booker Prize. Swimming Home, der auch ins Deutsche übersetzt wurde, spielt im Jahr 1994 und handelt von einer jungen psychisch kranken Frau, die sich in die Sommerresidenz eines bekannten britischen Schriftstellers und seiner Familie einschleicht und für zahlreiche Konflikte in der vermeintlichen Idylle an der französischen Mittelmeerküste sorgt. Hot Milk spielt während des Sommers in einem spanischen Fischerdorf und stellt eine junge Frau in den Mittelpunkt, deren Mutter unter mysteriösen Lähmungserscheinungen leidet. Für die französischen Übersetzungen ihrer Autobiografien Things I Don't Want to Know (2014) und The Cost of Living (2018) wurde Levy 2020 der Prix Femina zuteil. ( Quelle der Kurzbiographie: Wikipedia )