Rezension

Die Abgründe der indischen Gesellschaft

Das Ministerium des äußersten Glücks - Arundhati Roy

Das Ministerium des äußersten Glücks
von Arundhati Roy

~~Inhalt
Anjum wird als Junge geboren, lässt sich jedoch umoperieren und lebt dennoch ein unerfülltes Leben. Sie braucht Freiheit und findet sie schließlich auf dem Friedhof, wo sie allabendlich zwischen zwei Gräbern ihre Matte ausrollt. Dort versammeln sich die unterschiedlichsten Menschen, entstehen Freundschaften und werden Feste gefeiert. Nur hier scheint möglich, was im wahren Leben vielen verwehrt bleibt.

Tilo, ist eine junge Architektin, die von drei Männern geliebt wird, einen heiratet, einen anderen liebt und sich mit ihm in große Gefahr begibt.

Meine Meinung
Zwanzig Jahre hat sich Arundhati Roy mit ihrem zweiten Roman Zeit gelassen. In diesen Jahren wurde sie zu einer der wichtigsten politischen Stimmen Indiens, die als Aktivistin gegen Missstände ihres Landes kämpft.

"Das Ministerium des äußersten Glücks“, wie der Titel ihres neuen Romans heißt, ist eine Geschichte voll mit Politik, Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten der indischen Gesellschaft. Das Buch ist wahrlich keine leichte Kost. Nicht nur liest es sich bedrückend, benötigt der Leser auch volle Konzentration um der zum Teil unübersichtlich erzählten Handlung folgen zu können. Gelegentlich hat man Mühe sich zu orientieren oder gar zu erinnern, wer noch einmal wer war. Doch bietet das Buch an manchen Stellen auch tief berührende, wundervoll formulierte Sätze, bei denen man ergriffen ist oder aber auch auf Grund des Grauens erschrickt. 

Ihre zentrale Figur ist Anjum, ein sogenannter Hirja, die zum Entsetzen der Eltern, weder als Mann noch als Frau zur Welt gekommen ist. Die Versuche sie als Jungen aufzuziehen schlagen fehl, da Anjum sich nur als Frau wohlfühlt und auch als diese Leben will. In der Hirja-Kommune findet sie Zuflucht und wird sogar zeitweise zu einer Berühmtheit. Dort hält sie es jedoch irgendwann nicht mehr aus und zieht auf einen Friedhof, wo sie andere Außenseiter bei sich aufnimmt und eine kleine Gegengesellschaft gründet.

Eingeflochten in Anjums Geschichte findet der Leser jedoch auch ein großes Stück indischen bzw. weltpolitischen Zeitgeschehens. Seien es die Unruhen im Bundesstaat Gujarat, den Kaschmir-Konflikt und auch den 11. September 2001. Roy häuft in ihrem Roman Schreckensgeschichten an und konfrontiert den Leser mit dem Grauen der indischen Historie. Um dies anhand des Kaschmir-Konflikts zu verdeutlichen erzählt sie die Geschichte von drei Männern, die alle in dieselbe Frau verliebt sind: Tilo. Doch Tilo liebt nur Musa, mit dem sie eine Liebe verbindet, die wegen der Unruhen heimlich und auf bedrückende Art gelebt wird, jedoch aber auch in filmischer Qualität geschildert wird.

Wie das moderne Indien ist auch "Das Ministerium des äußersten Glücks" eine Reizüberflutung und von allem zu viel: zu viel Krieg, zu viel Folter, aber auch ein Beweis, dass bei allem dem Grauen auch ein wenig Glück möglich ist, und noch wichtiger: Alltag.

Fazit
"Das Ministerium des äußersten Glücks" ist ein Roman, der seine Leser in vielen Dimensionen fordert. Er ist voller Anspruch, Grausamkeit, Schrecken und politischer Geschehnisse, die zu verdauen nicht einfach sind. Keine leichte Lektüre, aber eine, die man nicht so schnell vergisst und die mir Indien so nah gebracht hat, wie mir dieses Land im wahren Leben nie kommen wird.