Rezension

Die Abgründe der menschlichen Psyche

Murder Park - Jonas Winner

Murder Park
von Jonas Winner

Bewertet mit 3 Sternen

Der Thriller „Murder Park“ von Jonas Winner nimmt das bekannte Konzept einer abgeschiedenen Gruppe von Menschen, die sich einem unbekannten Mörder gegenüber sehen, um vor diesem Hintergrund einen zwanzig Jahre alten Serienmörderfall wie in einem Puzzle zu präsentieren. Während das aktuelle Geschehen stellenweise recht zäh ist, sind die Informationen, die wir über den Triebtäter von damals, die Opfer und die Umstände erfahren, höchst spannend.

Die Prämisse für diesen Thriller ist ein bekanntes, immer wieder gerne genommenes Konzept: Eine Anzahl von unschuldig wirkenden Personen sitzen auf einer Insel, einem Berg oder anderswo für einige wenige Tage fest, vollständig von der Außenwelt abgeschnitten, und ein Mörder geht um. Schon in Agatha Christies And Then There Were None lesen wir davon, ähnlich funktioniert auch der Edgar-Wallace-Film Das Indische Tuch. Auch in der Manga-Reihe Detektiv Conan gehört diese Idee zum Grundkonzept, das regelmäßig auf neue Weise verarbeitet wird. Entsprechend vertraut bin ich damit und ich weiß, dass ich es sehr, sehr gerne lese.

Doch gerade weil das Konzept so bekannt ist, muss man sich als Autor etwas einfallen lassen, um trotzdem noch etwas Neues, Spannendes zu erzählen. In diesem Falle würzt Jonas Winner die Geschichte damit, dass einst ein Serienmörder als Triebtäter unterwegs gewesen ist auf dem Gelände von Zodiac Island. Entsprechend erfahren wir recht viel über die Sexualität der zwölf Protagonisten, gerade bei Paul Greenblatt, aus dessen Sicht wir das meiste erleben, dreht sich sehr viel um Sex. Die Morde der Vergangenheit sind besonders deswegen verstörend, weil die sexuelle Perversion dahinter so bizarr und abstoßend ist. Das zu beschreiben gelingt dem Autor fantastisch. Ich habe mich tatsächlich beim Lesen mehrfach sehr unwohl gefühlt.

Von diesen verstörenden Details erfahren wir vor allem auch durch Interviews, die das Buch durchziehen. Von Anfang bis zum Ende bekommen wir Interviews aller zwölf Opfer mit einem Psychiater zu lesen, die vor dem Beginn der Handlung spielen. Das soll dem Leser Aufschluss über die Charaktere geben, Hintergrundinformationen vermitteln und über das Beziehungsgeflecht aufklären. Generell ist das gut gemacht und es gefällt mir auch, doch leider empfand ich hier – wie auch im Rest der Geschichte -, dass die Dialoge nicht vollständig überzeugen. Winner bemüht sich darum, die Personen sprechen zu lassen, wie Menschen wohl sprechen – Sätze sind grammatikalisch nicht korrekt, oft unterbrechen sie sich selbst, Gedanken werden gestammelt, man wiederholt sich mehrfach, wenn man ein Thema umgehen will. Während mir das eingangs positiv aufgefallen ist, habe ich doch schnell festgestellt, dass alle exakt auf dieselbe Art und Weise reden. Alle zwölf Personen sprechen so, der einzige Unterschied besteht darin, dass die Männer eine geringfügig härtere Ausdrucksweise wählen. In meinen Augen sollte man sich als Autor darum bemühen, zumindest den wichtigsten Personen auch durch ihre Sprechweise etwas Eigenes, Persönliches zu geben. Abgesehen davon ist der Schreibstil jedoch gut, teilweise sogar auf eine Art und Weise plastisch, die uns unaufdringlich den Horror in die Glieder treibt. Das vermisse ich oft bei Thriller, umso mehr fiel es hier positiv auf.

Während des Lesens der eigentlichen Geschichte jedoch habe ich mich streckenweise ein wenig gelangweilt. Es geht also ein Mörder um, anfangs zweifelt man noch, ob es real ist, irgendwann ist man sich sicher, dass es real ist. Die Opfer stellen fest, dass das Hotel, in dem sie untergebracht sind, diverse Fallen, geheime Vorrichtungen und andere Überraschungen bereithält, die es dem Mörder einfach machen, unerkannt und unbemerkt sogar in abgeschlossene Zimmer zu gelangen. Ein Mord in einem verschlossenen Raum, eines der schönsten Rätsel in Krimis! Schade, dass mindestens eine der Lösungen exakt so, aber wirklich bis aufs Haar in „Das Indische Tuch“ vorgekommen ist und generell eine der beliebtesten Fallen darstellt. Aufgrund dieser Ähnlichkeit fühlte ich mich auch wieder an Agatha Christies Roman erinnert, an dessen Auflösung am Ende und wer tatsächlich noch übrig war. Sofort schlichen sich bei mir Zweifel über das Gelesene ein.

Mit Paul Greenblatt haben wir zudem einen eher unzuverlässigen Erzähler. Das bemerkt man recht schnell, da er immer wieder kurze Gedanken und Traumbilder hat, die man auch Halluzinationen nennen könnte, die mit der Realität wenig zu tun haben. Als Leser weiß man daher nie, woran man wirklich ist – und ob nicht, obwohl wir alles aus seiner Sicht erleben, am Ende er gar der Mörder ist. An sich ist das clever gemacht, da es zumindest mich ständig in Hab-Acht-Stellung gehalten hat, doch die Art, wie um Paul zunehmend ein riesiges Mysterium, eventuell gar ein schreckliches Geheimnis konstruiert wurde, hat mich gegen Ende dann doch gestört. Es ist in Ordnung, dem Leser zu sagen, dass Paul eventuell selbst nicht weiß, was ihm geschieht, aber wir müssen das nicht in derartiger Häufigkeit lesen.

Die Aufklärung erfolgt am Ende in zwei Schritten, einerseits wird aufgedeckt, wer die zwölf Opfer auf der Insel umbringt, andererseits erfahren wir endlich die Wahrheit über den Serienmörder von vor zwanzig Jahren, der überhaupt erst Anlass gegeben hatte, den Vergnügungspark in den titelgebenden „Murder Park“ umzugestalten. Ich gebe zu, das Konzept hinter dem Murder Park hat mich von Anfang an zweifeln lassen, ich kann mich nicht vorstellen, dass das in der Realität umsetzbar wäre. Die Aufklärung dazu tat ihr Übriges. Gewiss, dies ist Fiktion und da kann man die Regeln durchaus mal biegen, aber das hier war für mich leider doch ein wenig zu weit hergeholt.

Wirklich spannend ist eigentlich das Porträt von Jeff Bohner, dem Serienmörder, der einst drei Frauen umgebracht hat. Als Inspiration für den Murder Park spielt auch er eine große Rolle und wir steigen ziemlich tief in die Abgründe der menschlichen Psyche und Sexualität, um mehr über ihn, seine Opfer und die Betroffenen zu erfahren. Das ist spannend, da hat das Buch seine Stärken. So haarsträubend es stellenweise auch erscheinen mag, sexuelle Perversion ist ein spannendes Thema, in dem es leider auch in der Realität keine Grenzen gibt. Die Wahrheit, die hier am Ende ans Licht kam, war überraschend, gut inszeniert, aber leider nicht vollständig gelungen in meinen Augen. Die Überraschung ist für den Schluss vorgesehen und so hatte der Autor keine Zeit mehr, den Bösewicht ebenso tiefgründig zu analysieren wie die übrigen Figuren. Seine Motive, sein Trieb werden angedeutet, ich verstehe sie auch, doch ein klein wenig mehr Information hätte mich dennoch gefreut. Schon alleine, weil der Autor ganz offensichtlich begabt darin ist, diesen Aspekt des Menschen anschaulich darzustellen.

Wir bekommen hier also eine spannende Triebtäter-Analyse vor dem Hintergrund einer „And Then There Were None“-Situation. Während ich letzteres wirklich gerne mag, muss ich doch sagen, wurde es in diesem Thriller nach etwa der Hälfte etwas zäh und ich hoffte beinahe, dass möglichst bald alle sterben, damit es endlich mit dem interessanten Teil weitergehen kann. Der alte Fall des Serienmörders hingegen ist spannend, gerade weil er uns wie ein Puzzle präsentiert wird. Auch hier wäre noch mehr möglich gewesen, doch es ist definitiv die Stärke in diesem Roman.

Fazit:
Der Thriller „Murder Park“ von Jonas Winner nimmt das bekannte Konzept einer abgeschiedenen Gruppe von Menschen, die sich einem unbekannten Mörder gegenüber sehen, um vor diesem Hintergrund einen zwanzig Jahre alten Serienmörderfall wie in einem Puzzle zu präsentieren. Während das aktuelle Geschehen stellenweise recht zäh ist, sind die Informationen, die wir über den Triebtäter von damals, die Opfer und die Umstände erfahren, höchst spannend. Der Schreibstil ist plastisch, so dass abstoßende Szenen tatsächlich Unwohlsein auslösen. Leider sind viele kleine Details nicht ganz so gut ausgearbeitet, wie es diesem talentierten Autor sicher möglich gewesen wäre, so dass ich am Ende nicht vollständig überzeugt bin. Trotzdem ist das Buch unterhaltsam genug, dass ich mit gutem gewissen eine Kaufempfehlung aussprechen kann.