Rezension

Die andere Seite der Verzweiflung

Die Mitternachtsbibliothek -

Die Mitternachtsbibliothek
von Matt Haig

Achtung: Diese Rezension kann Spuren(!) von Spoilern enthalten!

Die Leseprobe zu „Die Mitternachtsbibliothek“ habe ich gelesen noch bevor der große Hype losgebrochen ist. Danach war ich fest überzeugt, dass ich das Buch kaufen muss. Bei Geschichten dieser Art erwartet man sich ja immer irgendetwas Besonderes für das eigene Leben. Eine große Erkenntnis, einen Gedanken, den man neu begreift. 
Neue Denkanstöße habe ich definitiv gewonnen, aber ich weiß nicht, ob sie mich am Ende weitergebracht haben. Ehrlich gesagt, bin ich mir abschließend nicht sicher, ob ich das Buch verstanden habe.

Inhalt:
Nora Seed ist 35 Jahre alt und depressiv. Eine Kaskade von negativen Ereignissen führt dazu, dass sie sich in ihrer Wohnung mit einem Cocktail aus Alkohol und Tabletten das Leben nimmt. Nach ihrem Suizidversuch landet sie in einer Zwischenwelt, irgendwo an den Rändern von Leben und Tod. An diesem fremden Ort, der gleichzeitig ein Teil ihrer selbst ist, existiert eine endlos große Bibliothek, in der es immer Mitternacht ist. In der Mitternachtsbibliothek findet sich ein unerschöpfliches Kontingent an Büchern. Jedes dieser Bücher enthält ein Leben, welches Nora hätte leben können, wenn sie sich in ihrem Ursprungsleben an einer bestimmten Stelle anders entschieden hätte. Die Mitternachtsbibliothek gibt ihr nun die verführerische Möglichkeit sich auf die Suche nach genau dem Leben zu machen, das sie am glücklichsten macht. Solange ihr Körper nicht stirbt, hüpft Noras Seele also von Leben zu Leben, in der Hoffnung eines zu finden, in dem sie bleiben will.

Meine Meinung:
Ich weiß nicht, ob ich die Kernaussage der Geschichte erfasst habe. Das ist der Punkt, über den ich am meisten nachgedacht habe, seitdem ich das Buch beendet habe.
Da sind all diese Leben, die Nora durchläuft und ich glaube, Matt Haig ging es darum, deutlich zu machen, dass es in jedem Leben Trauer und Zweifel und Sorgen gibt. Dass wir die gleichen Emotionen in unterschiedlichen Welten fühlen und dass es deswegen egal ist in welcher Welt wir uns befinden. Wir müssen Unglück kennen, um Glück begreifen zu können. In jedem Leben und an jedem Tag haben wir das Potenzial, das Beste aus unseren Umständen zu machen, wenn wir nur all das Gute darin erkennen. 
Aber Nora verlässt ihre Parallelleben meist nach sehr kurzer Zeit wieder, weil sie dort keine Perspektive für sich sieht. Müsste es denn nicht auch in jedem dieser Leben Potenzial geben?
Womit ich sehr gekämpft habe, ist die Endgültigkeit, mit der die Parallelleben dargestellt werden. Das Australienleben war schrecklich, aber es hätte doch sicher auch Versionen davon geben können, die besser oder sogar gut gewesen wären. Allein für das eine Leben, in dem Nora nach Australien auswandert, müssten doch unendlich viele Möglichkeiten vorhanden sein. Aber wir haben nur eine einzige gesehen. 
Außerdem war mein ganz persönliches Empfinden, dass die aufgezeigten Leben tatsächlich unterschiedlich gut oder schlecht waren. In manchen hätte ich lieber sein wollen als in anderen. Manche fand ich sogar wirklich besser als Noras Ursprungsleben.
Besonders gut gefallen haben mir die zahlreichen philosophischen Gedanken und Theorieren, die sich in der Geschichte finden. Dabei habe ich viel gelernt und einige neue Denkanstöße mitgenommen. Außerdem mochte ich das Ende des Buchs sehr. Obwohl ich das Wieso-Weshalb-Warum nicht abschließend durchblicken konnte, fand ich den Gedanken, dass es immer eine andere Seite der Verzweiflung gibt, sehr tröstlich.
Der Schreibstil des Autors ist klar und bildlich. Die Kapitel sind kurz und prägnant. Manchmal wurde mir das Ende eines Lebens allerdings zu schnell abgehandelt. Ich hätte gern noch nähere Erklärungen gehabt, warum Nora diese Möglichkeit zu existieren nun genau aufgibt oder auch aufgeben muss.

Fazit: 
„Die Mitternachtsbibliothek“ ist ein Buch, das zum Nachdenken anregt. In meinen Augen wird die Geschichte ihrem Hype gerecht. Es ist nur menschlich - vor allem in Zeiten von Social Media - über verpasste Chancen oder falsche Entscheidungen nachzudenken. Man sagt ja immer, dass das Gras anderswo auch nich grüner ist. Oft stimmt das sicher auch. Matt Haig hat ein Buch geschrieben, das Trost spendet, wenn man zweifelt, aber ich kann nicht behaupten, dass ich nach dem Lesen nicht mehr zweifeln werde.