Rezension

„Die Archäologie der lebenden Toten“ – einfach faszinierend!

Geköpft und gepfählt - Angelika Franz, Daniel Nösler

Geköpft und gepfählt
von Angelika Franz Daniel Nösler

Bewertet mit 5 Sternen

»Wenn ein Kind ohne Taufe verstorben ist … nehmen sie seinen Leichnam und legen ihn an einen geheimen Ort und durchbohren sein Körperchen mit dem Pfahl.« Dies müsse so geschehen, weil sonst »das Kindlein aufstehen und viel Schaden zufügen könnte, wenn sie nicht so verfahren.«

Vampire, Untote, Wiedergänger – dabei denkt man heutzutage entweder an zähnefletschende Grafen oder exotische Schönlinge, alternativ vielleicht noch – inspiriert durch aktuelle Fernsehserien – an Zombies oder weiße Wanderer. Auf jeden Fall gehören diese Gestalten in den Bereich der Phantasie, sind nichts als schaurige Wesen, die ihren Ursprung in lang vergangenem Aberglauben haben.

 

Die Autoren dieses Buchs sind Archäologen und haben sich der wissenschaftlichen Erforschung genau dieses Aberglaubens angenommen. Intensiv haben sie recherchiert und präsentieren hier die gesammelten Erkenntnisse aus den Bereichen Ethnologie, Geschichte, Archäologie und Forensik. Die meisten angeblichen Untoten sind an der Art und Weise zu erkennen, wie sie beerdigt wurden. Was ich hier lesen konnte, war absolut faszinierend, erzeugte einen leichten Grusel und ein mittelschweres Kopfschütteln.

 

Drei wichtige Punkte werden schnell klar: Der Glaube an Vampire ist so alt wie die Menschheit, die Autoren führen Beispiele aus altsteinzeitlichen Gräbern an, einen Fall aus dem Jahr 2004 und solche aus praktisch allen Zeitaltern dazwischen. Zweitens: Nicht nur alle möglichen Zeiten sind betroffen, sondern auch alle möglichen Länder, vom hohen Norden bis runter nach Afrika, vom westlichen Amerika bis zu Japan, China und anderen Ländern im Osten. Und drittens: Wir sprechen nicht von Einzelfällen, sondern eher von einem Massenphänomen. Ich hätte nicht mit solchen Zahlen gerechnet!

 

Präzise wird erklärt, wie bei den Forschungsarbeiten vorgegangen wurde. Bei einem verdächtigen Fund wird zunächst überprüft, ob andere wissenschaftliche Erklärungen ausgeschlossen werden können. Wenn sicher ist, dass es für den schweren Stein auf dem Kopf oder den Pflock durchs Herz keine andere Erklärung gibt, beginnt die weiterführende Suche. Dabei wird das Skelett studiert, lokale Legenden erfragt, Kirchen- und Stadtarchive überprüft, nach Zeitungsartikeln geforscht.

Die archäologische Arbeit bildet sicher einen Schwerpunkt im Buch, es wird aber zudem umfangreich der aktuelle Kenntnisstand rund ums Thema vermittelt. Angefangen bei geschichtlichen Hintergründen, über Erklärungen zu den verschiedenen Arten von Untoten und Antworten auf die Frage, wie man eigentlich zum Vampir wird. Da gibt es viel, viel mehr mögliche Ursachen als den bekannten Biss! Da konnte zum Beispiel eine Zeugung am „falschen“ Tag reichen oder ein Versprecher während der Taufe. Untote in Geschichte und Literatur finden hier ebenfalls ihren Platz. Reichlich Skurriles kommt zutage. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass Bannmaßnahmen bei Selbstmördern in England bis 1823 gesetzlich vorgeschrieben waren?! Ausführlich wird die Vernichtung eines Vampirs aus dem Jahr 2004 beschrieben. Was ich da las, hätte exakt so aus einem alten Horrorfilm stammen können. Die Täter hatten volle Rückendeckung in ihrem Dorf, hatten sie doch „nichts unrechtes getan“, sondern das, was man immer schon getan hatte und es auch jederzeit wieder tun würde.

 

Ich könnte noch so viel aufzählen! Ich blicke auf meine Notizen und da stehen wirklich viele Punkte, die mich besonders angesprochen, berührt und fasziniert haben. Alles liest sich sehr leicht, die Kapitel sind gut strukturiert und mit passenden Fotos und Abbildungen ergänzt. Schwer begeistert vergebe ich gerne 5 Sterne für dieses tolle Buch!

 

Fazit: „Die Archäologie der lebenden Toten“ – einfach faszinierend! Gleichzeitig fesselnd geschrieben und sehr gut wissenschaftlich ausgearbeitet.

 

»Die anthropologischen Untersuchungen, die historischen Berichte und die ethnologischen Analysen zeichneten ein immer deutlicheres Bild – die Untoten nahmen zu allen Zeiten und in allen Kulturen einen viel größeren Raum ein, als wir vermutet hatten. Und die Suche nach den Untoten ist noch nicht zu Ende. Die Forschung hat gerade begonnen, sie nicht als Aberglauben abzutun und totzuschweigen, sondern sie als ernsthaftes historisches Phänomen wahrzunehmen. Es ist an der Zeit, sich an einen unangenehmen Gedanken zu gewöhnen: Für den größten Teil der Menschheitsgeschichte galt die Anwesenheit von Untoten als eine Selbstverständlichkeit.«