Rezension

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Die beeindruckende Autobiografie eines Aufwachsens zwischen Deutschland und Kroatien

Das achte Kind -

Das achte Kind
von Alem Grabovac

Bewertet mit 5 Sternen

Eindrücklich schildert Grabovac das Aufwachsen als Gastarbeiterkind in Deutschland. Keine leichte Kost, gerade deshalb lesenswert.

In "das achte Kind" schildert Alem Grabovac, Jahrgang 1974, ungeschönt und präzise das Aufwachsen als Kind einer kroatischen Mutter, die als Gastarbeiterin nach Deutschland kam. Der leibliche Vater Emir ist kriminell und versäuft das Geld, das Smilja erarbeitet- das erfährt Alem freilich erst, als seine Mutter sich von seinem Vater, den er seit seiner Kindheit nicht mehr gesehen hat, scheiden lassen will und erfährt, dass dieser tot ist. Alem hatte sie erzählt, der Vater sei als Bauarbeiter bei einem Arbeitsunfall gestorben. Da Smilja ihr Baby unter diesen Umständen tagsüber nicht beim Vater lassen will, gibt sie Alem in eine gutbürgerliche deutsche Pflegefamilie, in der er fortan aufwächst. Der Pflegevater ist ein Nazi durch und durch, impft schon dem jungen Alem ein, dass Juden bösartig sind und der Holocaust so nie stattgefunden hat, und erst im Jugendalter hat Alem genug Wissen gesammelt, um sich davon zu lösen. Trotzdem ist für ihn diese Pflegefamilie sein Zuhause, denn die Mutter, Smilja, die er mittlerweile nur noch monatlich besucht, hat einen neuen Partner, einen Trinker, der Alem bei dessen Besuchen regelmäßig verprügelt.

So wächst Alem auf, einerseits wohlbehütet als fußballspielendes Pflegekind einer gutverdienenden Großfamilie im beschaulichen Haus mit Garten, andererseits weiter verbunden mit seiner Mutter in Frankfurt, die unter dem neuen Mann zwar leidet, ihn aber auch nicht verlassen kann oder will, und mit der er die Ferien in Kroatien verbringt, in dem ärmlichen Dorf, das seine Mutter auf der Suche nach einem besseren Leben in Deutschland verlassen hat. In seiner Jugend erlebt Alem bei seinen Besuchen in Kroatien, wie der Nationalismus um sich greift - es ist der Beginn des Bürgerkriegs.

Beschrieben wird also eine Kindheit und Jugend, die alles andere als sorgenfrei ist. Trotzdem ist das Buch aber nicht deprimierend. Mit scharfem Blick und klarer Sprache wird geschildert, unterteilt ist das Buch in drei Teile: Das Buch Smilja, das Buch Alem und das Buch Emir. Dabei wird die Geschichte als ein Rückblick des erwachsenen Alem präsentiert, der nach dem Geständnis seiner Mutter über den leiblichen Vater dessen Grab in Kroatien ausfindig machen will.
Die Sprache spielt mit Details, die Großeltern in Kroatien werden ebenso greifbar wie die beschaulichen Urlaube mit der Pflegefamilie in Kroatien und der Kontrast zwischen beiden Welten wird sehr deutlich. Auch, wenn sich diese Lebensrealität sehr deutlich von meiner unterscheidet, konnte ich mich in die Schilderungen hineinversetzen, fühlte Alems Ärger auf seinen Stiefvater, vollzog seinen Abnabelungsprozess vom rassistischen Pflegevater mit.

Definitv ein Buch, das nachdenklich stimmt und dabei eine Lebensrealität schildert, die - leider - in der deutschen Literatur noch zu selten Gehör findet, obwohl sie vermutlich keine Seltenheit ist. Denn das Schicksal der sogenannten Gastarbeiter*innen und ihrer Kinder, die Widerstände der deutschen Bevölkerung, die Unterbringung dieser Menschen in schlechten Wohngegenden und ihre Ausbeutung haben Schicksale geprägt und Familien beeinflusst. Alem Grabovac, der es trotz dieser Umstände geschafft hat, Journalist und Autor zu werden, ist eine Seltenheit in der deutschen Literaturlandschaft. Ich würde mir wünschen, noch mehr von ihm zu lesen, und kann dieses Buch sehr empfehlen - auch, wenn (oder gerade weil) es keine leichte Kost ist.