Rezension

Die besondere Zahl 7

GHETTO 7 - Norma Feye

GHETTO 7
von Norma Feye

Bewertet mit 3.5 Sternen

„Ich bin ein blauer Frosch,“

Diese Dystopie, deren Großteil in einer Gefängnisstadt spielt umfasst einen Handlungsstrang. Die Protagonistin schildert aus der Ich-Perspektive ungefähr etwas über einen Monat aus ihrem Leben. Dieses Leben ist zu Anfang geprägt durch die Ansichten ihrer Existenz in einem totalitären Machtregime. Sie ermittelt zusammen mit ihrem Partner Jeff und jagt Schmuggler, lässt anders denkende Menschen auffliegen und verfrachtet sie in die so genannten Ghettos. Acht gezielte Scharfschützen Abschüsse gehen auf ihr Konto. Zudem ist sie die jüngste und tollste und verbissenste ihrer Zunft. Natürlich kann sie auch noch mit einem fotografischen Gedächtnis und einer Grundausbildung als Ersthelferin aufwarten. Sie ist süß und klein und Zucker und hat die niedliche Angewohnheit - still für sich - Menschen mit Tieren zu vergleichen.

All das jedoch macht sie mir überhaupt nicht sympathisch. Für ihren Job hätte es dieses mehrfach betonten super-duber Erinnerungsvermögens nicht bedurft. Ich finde ja immer, wenn Charaktere schon als Jüngste irgendwo dabei sind und dann auch noch Jahrgangsbeste, dann reicht das doch um sie als Besonders zu klassifizieren. Außerdem hat ihr dieses absolut tolle Gedächtnis sowie gar nichts gebracht! Was ihre negativen Seiten betrifft, so halte ich dieses Mädchen für absolut lenkbar. Sie hat für mich einfach keine eigene Persönlichkeit, was sie aber wiederum zum perfekten Werkzeug macht. Daher schenk’ ich es mir auf den Teil einzugehen, indem ‚Ich‘ sich noch außerhalb des Ghettos befindet. Fand ich ehrlich gesagt eher langweilig. Natürlich aber auch, weil einer solchen Story einfach schon anhaftet, doch bitte schnell zu dem Ort zu wechseln an dem es spannend wird! Deswegen habe ich die Lektüre, kaum im Ghetto angekommen (Sagen wir Kapitel 3) auch nicht mehr unterbrochen.
 

„der in einer gelben Badehose tanzt.“

Dieses Buch hat mich nicht sehr überrascht. Der Autorin gelingt es mühelos in verständlichen knappen Szenen alles Wichtige unterzubringen. Der Handlungsbogen steht solide und jede Szene wird zügig angerissen und ebenso zügig unter Weglassung von Schmuckmaterialien, auch genannt Details, an einem Band entlang geführt. Alles wird benötigt, nichts dem Zufall überlassen. Ich hatte das Gefühl, dass immer erst beschrieben wird wie die Umgebung und Atmosphäre ist um dann die Handlung weiterzuführen. Wobei wir schlichtweg auf einen ziemlich abgewrackten Landstrich stoßen. Über dem zivilisierten Land ist eine Art Smog-Glocke zu finden, es gibt Lichter die anzeigen wie schwer die augenblickliche Luftverschmutzung ist und wann es ratsam ist Atemmasken zu tragen. Eine hübsches Negativ-Szenario. Ich gehe mir auch gleich den Mund ausspülen, aber das was ich von meinen Großeltern über die ehemalige DDR weiß, findet sich streckenweise hier in dieser Erzählung wieder. Ich werte das mal als politische Anklage, bin mir aber nicht sicher, ob der Autorin persönlich mehr an Demokratie oder dem Recht des Stärkeren liegen würde.

Denn ominöserweise ist die Vorstellung des Getthos sehr romantisch. Viele wundervolle Menschen leben hier auf engstem Raum. Sie haben eine Art eigene Vision des miteinander Lebens entwickelt, obwohl sie alle für (fiktive) Verbrechen gegen den Staat eingesperrt worden sind. Es gibt jene unter ihnen, die Opfer von Falsch-Anklagen geworden sind und erst im Ghetto eine gewisse Stärke erwarben. Aber es sind natürlich auch die Gemüter vorhanden die tatsächlich Unruhestifter und Kriminelle sind und ihre Muskeln nicht nur zum Schein spielen lassen. In diesen Pulk des Abschaums wird nun Sam geworfen und soll Ray eliminieren. Anders als in meiner Videorezi angekündigt, hat sie kein Ultimatum wie Snake Plissken im Film: „Escape from New York“ aka „Die Klapperschlange“. Will sagen, Snake hatte keine Wahl: Geh rein, rette den Präsidenten vor den bösen Eingesperrten oder du stirbst! Sam hier hingegen, macht das freiwillig und in der Überzeugung das Richtige zu tun. Deswegen kommt sie absolut nicht badass genug rüber. Auch wenn sie ganz gern mal schmutzigen Langfingern den Arm verdreht, wenn die an ihr Frischfleisch wollen.
 

„Vorsicht! Roter Regen gibt Flecken.“

Schreibtechnisch gibt es hier nichts auszusetzen. Szenen, Figuren und Handlung sind sichtlich inszeniert und durchdacht. So auch die Tatsache, dass 'Ghetto 7' 7 Kapitel aufweist. Was mir persönlich fehlt waren Hinwendungen, Details, schwarzer Humor, Pfeffer. Hier wäre viel Platz gewesen für Leckerchen abseits der Story und der wörtlichen Rede die sich auf Kritik an den Mächtigen spezialisiert hat. Zum Beispiel mehr Angaben wo genau wir uns befinden. Das Wann ist mir gar nicht so wichtig, aber vielleicht ein paar Ideen was aus heutigen kulturellen Dingen geworden ist. Es gab den Taubenanhänger von Sam, die eine Hälfte jenes Schmucks den sie sich mit ihrer Zwillingsschwester teilte. Gerade die Nebencharaktere haben nur das allernötigste abbekommen. Und auch der hoch religiöse Ian war sehr blass, auch wenn das Feuer in seinem Blick ab und an hervor züngelte, wenn er Spaß daran hatte auf hart zu machen.

Vieles fand ich sehr vorhersehbar. Liegt ja vielleicht daran, dass ich ganz gerne zugebe auf jedwede Dystopie anzuspringen. Ja, darunter fällt auch „Waterworld“, „City of Ember“ oder „Equilibrium“. Kann durchaus sein, dass diverse Geschichten in diesen Metiers nicht ganz rund sind, Macken und Logiklücken haben, aber sie faszinieren mich auf eine sehr bestimmte Weise. Auf diese: ‚was wäre wenn‘ Weise. Und Ghetto 7 hat eine wirklich auf den ersten Blick bestens geeigneten ‚what-if‘ Charakter. Vor allem gegen Ende auch einen Moment in dem ich mich beinah verschluckt hab’. Wie kommen die Insassen nur immer an Alkohol, Feuerwaffen und all das andere Zeug? Ungeklärt blieb leider auch die Aussicht auf den Rest der Welt, also des Staates, deren Mitglieder wohl einfach so weiter machen werden wie bisher. Wobei mir Jeff jetzt echt Leid tut! Keinen kümmert es und die Ghettos bleiben abgeriegelt. Und die Nachbarstaaten scheinen auch kein Interesse daran zu haben einzuschreiten. Es ist wie es ist, stülp’ ne Glaskuppel drüber und es gehört dir und solange du keine Bedrohung darstellst, interessiert sich auch keiner für dich.
 

Fazit:

Was mach’ ich jetzt nur mit dieser Geschichte? Also es ist jedenfalls kein Unfallwagen. Aber ein Audi A6 auch nicht. Eine prima Mittelklasse-Lektüre, würde ich behaupten. Im Vorfeld habe ich ja schon einen Jux daraus gemacht, dass das Cover aus dem Oldigor-Verlag einen Pluspunkt für die Farbgebung erhält. Allerdings muss ich gestehen, kommt leider nicht einmal ein Stacheldraht drin vor. Ist ja nicht schlimm, wenn das Cover abweicht von dieser Tatsache und der Draht vermittelt auf jeden Fall einen ziemlich deutlichen Einblick in das Szenario das den Leser erwartet. Wobei, das allein ja schon der Titel hinbekommt. Wenn ich jedoch ehrlich bin (so sehr ich Grün liebe) wäre meine Farbwahl auf dreckiges, nebliges Braun gefallen. Wegen meiner darf für den Preis von über 10Euro in der gedruckten Ausgabe auch gern noch auf 300 Seiten aufgestockt werden. Hätte dem letzten Kapitel gut getan. Den Epilog fand ich übrigens wiederum ganz gut. Und so rückblickend Happy End hin oder her, reicht es mir durchaus wenn eine solche Handlung mal keine Revolution anstachelt.

So also geht es hier um Sam und ihre - ja - ich möchte sagen Emanzipation. Sie lernt, sie wächst, sie wacht auf. Einige interessante Nebenchars blitzen kurz hinter dem Abfall auf und haben meine Aufmerksamkeit sofort auf sich gelenkt. Marcus und Tom sowie Hassan… Ich frage mich jedoch, was ist aus der jungen Frau und ihrem Neugeborenen geworden? Was aus Julian, was aus Jeff, was aus dem Schmuggler aus der ersten Undercover-Ermittlung, ganz zu schweigen von dem Auftraggeber oder das Intermezzo mit BladeDancer Anführer Dorne? Da flattern halt viele offene Fädchen rum, nachdem der Saum sauber umgeschlagen worden ist. Und solange es nicht mehr der Protagonistin nützlich ist auf dem Weg durch das Ghetto, sind sie aus den Augen aus dem Sinn.

Ein ‚Konzentratbrei‘-Urteil: nahrhaft aber ungewürzt