Rezension

Die CIA-Agentin als Mutter und Ehefrau

Wahrheit gegen Wahrheit
von Karen Cleveland

Bewertet mit 3 Sternen

Vivian Miller arbeitet in der Spionage-Abwehr der CIA als Analystin in der Russland-Abteilung. Gemeinsam mit Ehemann Matt vollzieht sie wie viele berufstätige Eltern den Spagat zwischen zwei Berufen und vier Kindern, die in Kita und Schule betreut werden. Matts Berufstätigkeit als Software-Entwickler lässt sich offenbar problemlos mit Haushalt und Kindern vereinbaren, wenn auch an Vivian die Trauer darüber nagt, dass die Kinder zu ihrem Vater ein viel  vertrauteres Verhältnis haben als zu ihrer hart arbeitenden Mutter. Da die ganze Familie durch Vivians Krankenversicherung über den Arbeitgeber abgesichert ist, kann sich aus finanziellen Gründen an dieser Aufgabenverteilung so schnell nichts ändern.

Vivian arbeitet mit mehreren Kollegen daran, das Netz von Schläfern des russischen Geheimdienstes in den USA aufzurollen, indem sie auf der mittleren Führungsebene die Führer der ruhenden Agenten enttarnen und ihnen eine Ausstiegsregelung anbieten. Den Analysten ist es gelungen, in den Rechner eines Verdächtigen einzudringen und seine Aktivitäten minutiös zu verfolgen. Als Vivian auf diesem Rechner eine Datei öffnet, blickt ihr dort von einem Foto ihr Mann Matt entgegen. Matt ist offenbar schon als jugendliches Waisenkind in die USA eingeschleust worden und konnte seiner Frau seine wahre Biografie bisher verschweigen. Vivian ist sprachlos. Ihre große Liebe, in der sie beide für einander bestimmt zu sein schienen, erweist sich als große Lüge. Fragt sich nur, ob ein Lügner immer lügt, und ob sie erkennen könnte, wann Matt die Wahrheit sagt. Aufgrund ihrer Ausbildung hielt Vivian sich bisher für in der Lage dazu. Die Russland-Spezialistin findet sich in einer dramatischen Zwickmühle. Sie muss ihre Entdeckung einem Vorgesetzten melden, würde damit ihren Kindern aber den Vater nehmen oder schlimmstenfalls die Eltern, falls sie noch länger mit der Selbstanzeige zögert.

Karen Cleveland schildert eine durchschnittliche Amerikanerin mit sehr konventionellen Träumen vom Glück in einem Vorstadt-Häuschen, aber bitte in einem Viertel, das Schulen mit Bestnoten aufzuweisen hat. Vivians verletzlicher Punkt ist noch vor dem Leben der Kinder ihr Anspruch an einen bürgerlichen  Lebensstil, der zwingend zwei Gehälter voraussetzt. Dass sie deshalb so banal vorhersehbar handelt, erwies sich als viel gefährlicher für ihr Land als es ein Dutzend russische Schläfer sein könnten. Die Idee, eine CIA-Agentin als moderne berufstätige Mutter darzustellen, fand ich zunächst sehr anziehend. Auch die Vorstellung schien mir reizvoll, dass bei Familie CIA-Agent vermutlich das gleiche Chaos in der morgendlichen Rushhour herrscht wie in anderen Familien. Allerdings fehlte mir im Roman von Anfang an eine Vertiefung, welche Qualifikationen Vivian zur Russland-Expertin befähigten und wie es um ihre IT-Kenntnisse bestellt war. Allein die Behauptung sie wäre Expertin genügt mir nicht, ich möchte in einem Spionage-Thriller verfolgen können, wie ein Experte arbeitet. Karens Sprach- und Landeskenntnisse wirkten reichlich dünn - und das würde der Gegenseite nicht entgehen.

Inzwischen sollte ich gelernt haben, dass auffallend gehypte US-Thriller mir selten gefallen, und ich sollte besser die Finger davon lassen. „Wahrheit gegen Wahrheit“ startete zunächst recht positiv, weil die Übersetzung in zeitgemäßes Deutsch sich von Krimi-Dutzendware abhob. In sehr ausschweifenden Rückblicken in die 10 Ehejahre der Millers entpuppte der Roman sich leider als Familiengeschichte im Thriller-Rahmen.