Rezension

Die Eleganz der Worte

Das Gewicht der Worte - Pascal Mercier

Das Gewicht der Worte
von Pascal Mercier

Ein ärztlicher Irrtum wirft Simon Leyland aus der Bahn. Doch die vermeintliche Katastrophe erweist als Wendepunkt, an dem sein Leben noch einmal völlig neu beginnt. Pascal Merciers Roman "Das Gewicht der Worte" macht es seinen Lesern nicht leicht, dennoch sollte sich niemand abschrecken lassen. Weder von vernichtenden Kritiken, noch vom ersten Platz in der "Spiegel"-Bestsellerliste.

Es gibt das Vorurteil, Lehrjahre seien keine Herrenjahre. Azubis müssten also vor allem eifrig lernen, brav parieren und auch unangenehme Arbeiten tapfer erledigen. Genau so ging es mir mit „Das Gewicht der Worte“, wobei meine Lehrzeit immerhin gut 80 Seiten dauerte. Gerade als ich anfing, darüber nachzudenken, die „Berufsschule“ gelangweilt hinzuschmeißen und mir ein anderes Buch zu suchen, erkannte ich plötzlich doch den Zauber, die Schönheit und die Eleganz von Merciers „Ausbildung“ – auch wenn es natürlich ein übler Scherz ist, mit dem Mercier am Anfang seines Buches versucht, „unwürdige“ Leser gezielt abzuschrecken, ehe er mit dem Gewicht seiner Autorenworte ernst macht.

 

Zunächst aber zum Unwichtigsten Teil dieses Buchs, dem Inhalt: Der Erzähler Simon Leyland beschließt in seiner Jugend, alle Sprachen rund um das Mittelmeer zu erlernen. Was ihm im Lauf der Jahre gelingt. Er wird Übersetzer, Verleger, liebender Ehemann und Vater zweier Kinder – kurz gesagt: ein glücklicher Mensch. Als Weltbürger pendelt er zwischen Italien und England, doch ein Schicksalsschlag wirft ihn aus der Bahn: die Diagnose einer tödlichen Erkrankung.

 

Mercier schildert hochanständige Bilderbuch­menschen in einer Postkartenidylle. Die kann man tatsächlich als zum Kotzen langweilige Ansammlung von Trivialitäten empfinden. Aaaaber: Man kann sich auch einfach gefangen nehmen lassen, man kann sich dem Sog dieses Buchs hingeben und das Gewicht der Worte nutzen wie ein Taucher seinen Bleigurt, der einen hinunterzieht in das Meer dieser fast 600 Seiten.

 

Hatten die märchenhaften Figuren aus „Star Wars“ etwas mit der Wirklichkeit zu tun? Nein, natürlich nicht! Dennoch haben unzählige Menschen diesen Film immer wieder und voller Begeisterung gesehen. So ging und geht es mir mit Merciers Buch. Ich weiß natürlich um die Schwächen, aber sie interessieren mich nicht mehr, sobald ich das Buch aufgeschla­gen habe. Es wird daher für lange Zeit zum sofortigen Genuss in Griffweite liegen, bevor es ins Bücherregal wandert. Dort wird es bei meinen Lieblingsbüchern stehen, und ich weiß schon heute, dass ich es immer wieder zur Hand nehmen werde, um zu blättern, zu lesen … und zu träumen.

 

PS: Falls Sie nichts davon halten, als Lehrling geschurigelt und von einem Meister geprüft zu werden, schenken Sie sich einfach die Prüfung. Beginnen Sie das Buch auf Seite 84 oder auf Seite 94  … oder an irgendeiner anderen Stelle, ganz egal wo! Sie werden sich der Faszination dieses Buchs nicht entziehen können, und es macht keinen Unterschied, wo Sie zu lesen beginnen.

Übrigens: Einige Kritiker werden jetzt schnaufend anfügen, es mache auch keinerlei Unterschied, wo man mit dem Lesen aufhört! Hören Sie nicht darauf, lesen Sie!