Rezension

Die Entdeckung der Euphancholie

Hard Land -

Hard Land
von Benedict Wells

Inhalt: Grady (Missouri) 1985. Der fünfzehnjährige Sam ist ein Außenseiter. Sein einziger Freund ist weggezogen, sein Vater arbeitslos, seine Mutter an Krebs erkrankt. Nun soll er auch noch den Sommer bei seiner Tante in Kansas verbringen, wo auch seine zwei Cousins wohnen, die ihn schon des Öfteren verprügelt haben. Um den „Urlaub“ in Kansas zu umgehen, nimmt er einen Ferienjob im ortsansässigen Kino an. Dort freundet er sich mit anderen Jugendlichen an, verliebt sich und erlebt den Sommer seines Lebens – bis sich die Krankheit seiner Mutter zurückmeldet.

Persönliche Meinung: „Hard Land“ ist ein Coming-of-Age-Roman von Benedict Wells. Erzählt wird die Handlung retrospektiv aus der Ich-Perspektive von Sam, dessen Gedanken und Gefühle authentisch und emphatisch beschrieben werden. Die Krebserkrankung seiner Mutter ist in seiner Gefühlswelt omnipräsent: Er sehnt sich nach Normalität und Unbeschwertheit, sucht sie auch, allerdings holt der Gedanke an den möglichen Tod seiner Mutter ihn immer wieder ein, sodass potentiell jede schöne Situation kippen kann. Kurzzeitig schleicht sich auch der Gedanke ein, dass die ganze Last, die die Krankheit seiner Mutter auf die Familie ausübt, mit dem Tod der Mutter endlich vorbei wäre. Gleichzeitig plagen ihn Gewissensbisse: Darf er auf seine Mutter wütend sein? Generell sind die Figuren schön ausgestaltet. Sie besitzen durch ihre Hintergrundgeschichten und die Darstellung ihrer Gedanken- und Gefühlswelt eine große Tiefe. Durchströmt ist die Handlung mit euphancholischen Momenten. Der Begriff „Euphancholie“ ist ein Neologismus, dessen Definition Wells einer Protagonistin in den Mund legt: Es handelt sich um eine Kreuzung aus „Euphorie“ und „Melancholie“ und bezeichnet das Gefühl höchster Glückseligkeit, wobei aber gleichzeitig bewusst ist, dass der Moment des Glücks endlich ist. Solche „euphancholischen“ Momente, die in lauen Sommernächten spielen, ziehen sich wie eine Perlenkette durch „Hard Land“. Laue Sommernächte mit Freunden, Partys, Gespräche im Kino, kleinere und größere Mutproben. Diese Szenen sind detailliert und glaubwürdig beschrieben, sodass man beim Lesen teilweise selbst von Euphancholie überschwemmt wird. Daneben finden sich viele Referenzen an die 1980er Jahre. Songs von Billy Idol, Bruce Springsteen oder Journey werden abgespielt; Filme wie „Zurück in die Zukunft“ oder „Breakfast Club“ in die Handlung eingebaut und diskutiert. Interessant ist zudem der Titel „Hard Land“. „Hard Land“ heißt nämlich auch der Gedichtzyklus des (fiktiven) Autors William J. Morris, der einzige Literat, den Grady hervorgebracht hat (dementsprechend ist sein Werk auch Schulstoff). Spannend ist in diesem Kontext, dass zum Ende der Handlung Morris‘ „Hard Land“ gedeutet wird, wobei im Kleinen der literarische Interpretationsprozess durchgespielt wird (Interpretation der Oberflächenstruktur/Suche nach Metaphern/alternative Interpretationsmöglichkeiten/Offenheit der Interpretation). Insgesamt ist Benedict Wells‘ „Hard Land“ ein schöner Coming of Age-Roman mit viel Tiefgang, Empathie und Euphancholie, der Eighties-Vibes ausstrahlt.