Rezension

Die Entdeckung der Liebe in poetisch

Mut ist der Anfang vom Glück - Heike Karen Gürtler

Mut ist der Anfang vom Glück
von Heike Karen Gürtler

Bewertet mit 4.5 Sternen

In "Mut ist der Anfang vom Glück" erkennt die Jugendliche Kim, dass sie sich bislang nicht für das andere Geschlecht interessiert hat und sich wohl auch niemals von jenem angezogen fühlen wird, als sie sich mehr und mehr zu einer neuen Mitschülerin hingezogen fühlt, die offen zu ihrer Homosexualität steht. Aber während Kim sich die Gefühle für Ella selbst leicht eingestehen kann, zögert sie doch, so frei wie Ella mit ihrer gleichgeschlechtlichen Orientierung umzugehen. Denn ist ihr Umfeld nicht zu konservativ, um Kims Homosexualität vorbehaltlos zu akzeptieren?

Ich finde die gegenwärtige Kurzbeschreibung dieses Romans Gürtlers missverständlich: Angesichts der dort gegebenen Informationen war ich mit der Erwartung an die Geschichte herangegangen, dass die Protagonistin Kim sich bereits über ihre sexuelle Orientierung im Klaren war. Stattdessen wird ihr im Verlaufe der Handlung aber überhaupt erst klar, dass sie, die sich selbst noch nie groß darüber Gedanken gemacht hatte, dass sie sich nicht für Jungs interessierte, sich eben zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlt. 
Kim, die in "Mut ist der Anfang vom Glück" als Ich-Erzählerin agiert und mir grundsätzlich ein sehr natürliches und sympathisches Mädchen zu sein schien, nimmt ihr eigenes "Erkennen" dabei eher mit einem Schulterzucken an; damit, sich als homosexuell einzustufen, hat sie nur wenig Probleme und sie hadert auch nicht allzu sehr damit, lesbisch zu sein. Für sie selbst ist das absolut in Ordnung; Kims Problem besteht hauptsächlich aus ihrer Angst, ihre Homosexualität auch vor Anderen einzuräumen bzw. eben den Reaktionen der Anderen: Immerhin ist unter ihren Freundinnen Heterosexualität die Norm; teils zeigen sich auch Berührungsängste gegenüber der offen lesbischen Ella (vonwegen "vielleicht checkt sie uns in der Umkleide nach dem Sportunterricht immer total ab"), auch wenn Ella niemals offen angegangen wird und es grundsätzlich für die Mehrheit absolut kein Ding zu sein scheint, dass Ella so offen bekundet, nur auf Mädels zu stehen. Aber auch Kims Eltern, insbesondere der Vater, finden homosexuelle Menschen zumindest "dubios" und "nicht ganz richtig": Kim ist sich klar, dass es dort lediglich Vorurteile sind, welche die Vorherrschaft innehaben, aber vielleicht drohte ihr ja doch Ignoranz bis hin zum Verstoßenwerden, würde sie sich als eine der "nicht ganz Richtigen" outen?! 
Kim ist sehr unsicher und "Mut ist der Anfang vom Glück" spiegelt diese Unsicherheit sehr gut wider; mit dem Titel schon anzeigend, dass Kim lernen muss, offen zu sich und ihren Gefühlen zu stehen, um rundum glücklich sein zu können. Denn letztlich ist alles, was fehlt, ihre Liebe offen ausleben zu können und nicht nur eine verheimlichte Beziehung zu führen. 

Auch abseits des Homosexualität-Themas kann dieser Jugendroman als Plädoyer verstanden werden, so zu sein, wie man ist, zu sich und seinen Gefühlen/Vorlieben... zu stehen, und sich nicht zu verstellen, nur um der breiten Masse um sich herum zu ähneln. 
Meiner Meinung nach lernt man hier zudem sehr viel über Akzeptanz und Toleranz und wer sich über seine eigene sexuelle Orientierung vielleicht auch im Unklaren ist oder vor Allem sich noch nicht zu outen getraut hat, erlebt hier deutlich, dass er wohl nicht der Erste ist, der durch diese Phase der Unsicherheit und Ängste durchmarschiert. Als Heterosexueller, so mein persönlicher Eindruck, erfährt man zudem sehr genau, mit welchen Gedankengängen sich jemand befasst, der auf dem Weg dahin ist, offen zu sich zu stehen und damit riskiert, auch in einem eher konservativen, gutbürgerlichem Umfeld völlig aus der Rolle zu fallen und ggf. deutlich anzuecken. 
Verlustängste spielen hier also eine wesentliche Rolle: Die Angst vor dem Verlust wichtiger familiärer und sozialer Kontakte, die sich plötzlich scheuen könnten, weiteren Umgang mit einem zu pflegen (so erfährt Kim bald von einem Mitschüler, dass dessen Eltern den Kontakt zum Bruder abgebrochen haben, nachdem dieser sich als schwul zu erkennen gegeben hatte) und Kim beginnt also bald abzuwägen, ob ihr das sichere "große Ganze" nicht doch mehr wert sein könnte als ihr persönliches, ureigenes Glück, obschon ihr prinzipiell bewusst ist, dass es bescheuert wäre, nach der Meinung der Anderen zu leben - aber hier geht es eben nicht um Unbekannte, die doch von einem denken mögen, was sie wollen, sondern eben um ihr langjährig vertrautes Umfeld, so dass ggf. ihr komplettes soziales Gefüge kippen könnte. Und vielleicht ist ihr Umfeld ja auch viel lockerer als sie es befürchtet?! 

Trotz des eher schweren Themas, welches mit starken persönlichen Belastungen einhergehen kann, gelingt es "Mut ist der Anfang vom Glück" doch ganz vorzüglich, bis zuletzt unterhaltsam und kurzweilig zu sein; nie verliert sich die Handlung in Resignation oder Niedergeschlagenheit, denn eines zieht sich wie ein roter Faden durch den kompletten Roman: die offensichtliche Hoffnung auf das zu erwartende Glück. 

Für mich entpuppte sich der Roman als wunderbare Jugendlektüre, die einen auch als längst Erwachsenen noch zu berühren weiß und den ich daher klar weiterempfehlen kann!