Rezension

Die Entwurzelten

Häuser aus Sand - Hala Alyan

Häuser aus Sand
von Hala Alyan

Bewertet mit 4 Sternen

Nablus, 1963: Salma ist froh, dass sie ihre Töchter an Männer verheiraten konnte, die diese in andere Länder mitnehmen. Auch wenn diese Tatsache die Töchter unglücklich macht, ist Salma beruhigt, wenigstens zwei ihrer Kinder in Sicherheit zu wissen, denn Jahre zuvor war sie selbst schon mit Mann und kleinen Kindern aus Jaffa vertrieben worden, als sich der israelische Staat ausgebreitet hat. Und in Nablus ist die Lage alles andere als stabil. Nun liest sie den Kaffeesatz ihre jüngsten Tochter auf deren Hochzeit und sieht voraus, dass diese ein unstetes Leben haben wird ...

Doch das dürfte auf so ziemlich alle Familienmitglieder zutreffen. In immer weiter voranschreitenden Kapiteln, die mitunter viele Jahre auslassen, folgt der Leser vier Generationen von Salmas Familie und muss feststellen, dass auch die späteren Generationen rastlos durch die Welt ziehen. Immer wieder sind sie auch gezwungen, in andere Länder im arabischen Raum, aber auch nach Europa oder Amerika zu ziehen, denn die Lage ist angespannt und jede der Generationen kennt Krieg. Zudem haben sie es als Pälastinenser auch unter anderen Muslimen nicht leicht und werden immer wieder mit radikalen Kräften in einen Topf geworfen. Doch auch in Salmas Familie gibt es diese radikalen Kräfte und so ist ein großes Thema in Salmas Leben und dem ihrer Töchter die Abwesenheit des Bruders Mustafa, der angeblich in einem israelischen Gefängnis gestorben ist.
Hala Alyan hat kein Manifest gegen die Gewalt im Nahen Osten geschrieben. Es ist keine bitterernste Gesellschaftskritik mit hochanspruchsvoller Sprache. Stattdessen verpackt die Autorin die gesellschaftlichen Probleme und Erfahrungen von Kriegen zwischen verschiedenen Fronten in den Alltag einer palästinensischen Familie, die neben kriegerischen Konflikte auch die ganz normalen Kämpfe des Alltags ausfechten muss: Töchter, die in Amerika aufgewachsen sind und sich nicht mehr an die Kleidervorschriften halten wollen; Söhne, die bei zwielichtigen Predigern Anschluss und Anerkennung suchen, aber die ein oder andere Liebes- oder Trennungsgeschichte. Vor allem lernt man jedoch eine Familie kennen, deren Entwurzelung so tief sitzt, dass sie selten an einem Ort bedingungslos glücklich werden, sondern wie getrieben immer wieder in den Nahen Osten zurückkehren um dann doch wieder vor Krieg flüchten zu müssen.

So ist "Häuser aus Sand" zum einen eher ein Unterhaltungsroman, der eine Familiengeschichte erzählt, die einmal in einem etwas anderen Rahmen (für mitteleuropäische Verhältnisse) stattfindet, zum anderen aber durchaus ein ernstes Buch, das auf gesellschaftliche Misstände hindeutet, sie jedoch nicht sehr vordergründig behandelt, sondern so, dass es jede palästinensische Familie sein könnte und es dem Leser leichter gemacht wird, sich hineinzuversetzen und die Geschichte für realistisch zu halten.

Meine einzigen Kritikpunkte an diesem Buch sind die teilweise sehr großen Zeitsprünge und die Verwirrung, die manchmal aufgrund der Figurenzahl und -vielfalt entsteht. Auch verliert man mit fortschreitender Geschichte den Kontakt zu den älteren Generationen. Zudem hätte dem Buch eine Karte gutgetan. Insgesamt jedoch hat mir das Buch gut gefallen und mich durchaus am alltäglichen Leben im Nahen Osten teilhaben lassen und auch die familiären Handlungsstränge haben mich überzeugt und mitfühlen lassen, wobei mich besonders dieses durchgängige Gefühl der Heimatlosigkeit der Figuren berührt hat.