Rezension

Die fremde Königin

Die fremde Königin
von Rebecca Gablé

Bewertet mit 5 Sternen

„Wenn Ihr leben wollt, müsst Ihr graben“

Als Adelheid von Burgund, nach dem Tod ihres Gatten Lothar von Berengar von Ivrea im Jahre 951 auf der Burg Garda gefangen gehaltene Königin von Italien, diese Worte von einem Mönch im Vorbeigehen zugeraunt bekommt, fasst sie neuen Mut, ihrem Peiniger möglicherweise doch noch entkommen zu können. Und das Wunder geschieht. Mit eigenen Händen kann sich Adelheid in die Freiheit graben und zusammen mit ihrer Tochter Emma, ihrer Dienerin Anna und Bruder Guido fliehen. Sie erwartet Hilfe in Person jenes geheimnisvollen Mönches, der in Wahrheit Gaidemar, ein Panzerreiter im Dienst König Otto, ist, ausgesandt, um die Befreiung zu unterstützen. Das schwierige Unterfangen gelingt, und als Adelheid mit ihrem „Gefolge“ in Pavia eintrifft, nimmt sie König Otto in Empfang, und die beiden heiraten. Aus der zunächst rein politischen Ehe zwischen Adelheid und Otto erwächst eine Beziehung auf Augenhöhe, die von gegenseitiger Zuneigung und Liebe geprägt ist.

Gaidemar, der im Verlauf der Flucht recht schnell in die schöne, edle Frau verliebt hat, ist ohne den Hauch einer Chance. Nicht nur weil er über keinerlei Besitz verfügt, ist Adelheid unerreichbar für ihn. Sondern er ist ein Bastard und damit namenlos, wurzellos und ohne Aussicht darauf, dass sich dies jemals ändert.

Doch das Schicksal hält nicht nur für Gaidemar und „Die fremde Königin“ einiges bereit...

Rebecca Gablé zeigt mit ihrer Reise in die Vergangenheit erneut, dass sie es vermag, den Leser diese nahezubringen, ohne es wie eine Geschichtsstunde aussehen zu lassen. Sie schreibt engagiert und respektvoll, hält sich an die historischen Gegebenheiten und stellt ihre Gründlichkeit bei der Recherche unter Beweis. Die Lebendigkeit, die sie ihren Protagonisten verleiht, macht diese für den Leser wahrnehm- und greifbar. Es ist eine besondere Kunst der Autorin, sämtliche Handelnde so zu charakterisieren, dass der Leser Verbindungen knüpfen und Empathie und Antipathie mit ihnen entwickeln kann, nicht nur bei der Begegnung mit neuen Persönlichkeiten, sondern auch beim Treffen mit "alten" Bekannten.

Hervorzuheben ist daneben die Gestaltung des Buches. Nicht nur das Cover ist äußerst ansprechend. Neben in Farbe gestalteter Karte des Reiches um 962 und eines ausführlichen Stammbaumes der Ottonen illustrieren Doppelseite schwarz-weiß Bilder jeden Beginn der drei Teile des Romans. Das Personenregister verschafft einen Überblick über historische und fiktive Figuren. Zudem beleuchtet das Nachwort der Autorin geschichtliche Hinter- und eigene Beweggründe.

Das Geschehen in "Die fremde Königin" setzt zehn Jahre nach dem in "Das Haupt der Welt" zuletzt geschilderten ein und führt den Leser erneut in eine aufregende Zeit der Umbrüche, Kriege und Kämpfe jeglicher Couleur. Es beginnt mit einem schier unglaublichen Ereignis. Denn die Flucht von Adelheid von Burgund hat es tatsächlich gegeben, und auch aus heutiger Sicht verdient es Respekt, dass die junge Adelheid trotz der scheinbar aussichtslosen Situation den Mut nicht verloren, sondern die sich ihr und Begleitern klitzekleine Möglichkeit ergriffen und sich quasi mit bloßen Händen einen Weg in die Freiheit gegraben hat.

Die besondere Charakterstärke ihrer Protagonistin hebt die Autorin im weiteren Verlauf der Handlung immer wieder hervor. Gleichwohl hat auch die junge Königin ihre Schwächen, die nicht übersehen werden können, sie dafür allerdings umso lebensechter erscheinen lassen. Daneben verfügt Adelheid über dezenten Humor, und sie ist eine gute Menschenkennerin. Bereits als burgundische Prinzessin und italienische Königin musste sie lernen, die wahren Absichten hinter den Worten zu erkennen, die die Menschen zwar sagen, aber nicht so meinen. Das hat sie geprägt, und so ist es für Adelheid zunächst unerklärlich, warum es ihr nicht möglich ist, Gaidemar wahrhaftig zu ergründen.

Gaidemar ist ein höflich, korrekt und selbstlos agierender Mann, der viel Wert auf seine Ehre legt, einen besonnenen Eindruck macht, zugleich jedoch mit seinem Dasein als Bastard hadert. Recht bald wird offenbart, wer sein Vater ist. Dies ist niemand Geringerer als Thankmar, der einst gegen seinen Bruder Otto, revoltierte, weil dieser ihm das Erbe seiner Mutter vorenthielt. Dass er Sohn eines Verräters, wenn auch Neffe des Königs ist, begeistert Gaidemar wenig, so dass er sich und andere mit hohen moralischen Maßstäben belegt. Es bedarf eines langen, schmerzhaften Weges, bis Gaidemar sein Schicksal annehmen kann. 

Auf diesem Weg stellen sich ihm nicht nur Hindernisse in den Weg. Es gibt Menschen, die ihm wohlgesonnen sind. Andere wiederum wollen seinen Untergang. Sie alle zeichnet eine Mischung von Stärken und Schwächen in einem Gefüge von politischen und abenteuerlichen Ereignissen aus, die das Lesen der Geschichte zum Erlebnis machen.