Rezension

Die Gegenwart konsequent weitergedacht!

Heimatsterben -

Heimatsterben
von Sarah Höflich

Bewertet mit 5 Sternen

Sarah Höflich legt mit „Heimatsterben“ einen Text vor, der vom ersten Satz an fesselt. In dem im Jahr 2023 angesiedelten Roman werden das politische Handeln von rechtspopulistischen Parteien und die aktuelle gesellschaftliche Situation konsequent und plausibel weitergedacht und kumulieren in der Schreckensvorstellung eines faschistischen „vierten Reichs“. Dabei spiegelt die Autorin die verschiedenen gesellschaftlichen Positionen und Ansichten am Beispiel der Großfamilie Ahrens, die bis dato von der Großmutter Tilde zusammengehalten wurde.

Diese liegt nun im Sterben. Ihre Familienmitglieder, die normalerweise ihre eigenen Wege gehen, treffen daher aufeinander. Hierzu gehören unter anderen die grundverschiedenen Enkelinnen Hanna und Trixie. Für die geschwisterliche Beziehung kommt erschwerend hinzu, dass Trixie mit Felix Graf von Altdorff verheiratet ist. Er ist Kanzlerkandidat der nationalistischen Partei BürgerUnion, die im diametralen Kontrast zu den politischen Ansichten von Hanna steht. Dennoch versucht Hanna dem letzten Wunsch ihrer Großmutter, die Familie zusammenzuhalten, nachzukommen. Als Felix sie bittet, ihn politisch zu unterstützen, gerät Hanna jedoch schnell in ein Dilemma und auch für Felix läuft es nicht rund, da sein Handeln für den rechten Flügel der Partei nicht radikal genug ist.

Das Familiendrama zeichnet sich dadurch bereits früh ab und geht nahtlos in ein real wirkendes gesellschaftliches Horrorszenario über. Dabei wird die Ausgangslage in Deutschland wie folgt beschrieben: „Die riesige Flüchtlingswelle, von der die Bundesrepublik nach einem heftigen Zerwürfnis mit der Türkei überrollt worden war. Die missglückte Vertrauensfrage. Es standen Neuwahlen an. Und Europa, das gerade erst begonnen hatte, sich langsam von den Nachwirkungen einer mehrjährigen weltweiten Pandemie zu erholen, glich einem Pulverfass.“ Dieses Pulverfass ist eine explosive Mischung und zeigt anschaulich, wie eine solche Situation den Faschismus begünstigt und schließlich eskalieren muss. Dem aufmerksamen Leser begegnen dabei viele Situation, die Analogien zur politischen Gegenwart und Vergangenheit aufweisen, die aber konsequent weitergedacht werden. Daher kann der Text auch als eine Art Mahnung an den Leser verstanden werden, ohne jedoch dabei jemals „platt“ zu wirken.

Zudem ist Spannung auf allen Ebenen gegeben. Der Text entwickelt sich zu einem Pageturner der Extraklasse, zumal es sich nicht nur um eine einfache, politisch und gesellschaftlich spannende Geschichte handelt, sondern sich auch literarisch-stilistisch auf einem hohen Niveau bewegt. Extrem authentisch und handwerklich überzeugend wird eine Prognose für Deutschland entfaltet, die gleichermaßen realistisch und bedrohlich wirkt.

Nützlich erweist sich auch der abgedruckte Familienstammbaum, da er dafür sorgt, dass der Leser nicht den Überblick über die große Anzahl an Figuren verliert.

So stellt dieser fulminante Debutroman ein absolutes Lesehighlight des Sommers 2021 dar: brandaktuell, bedeutungsschwer, spannend und gleichzeitig poetisch!