Rezension

Die Geister, die ich rief.

Später
von Stephen King

Bewertet mit 4 Sternen

New York: Der kleine Jamie Conklin wächst zwar ohne Vater auf, hat jedoch ein sehr inniges Verhältnis zu seiner Mutter Tia, die als Literaturagentin recht erfolgreich ist. Doch Jamie besitzt auch eine besondere Gabe, er kann Tote sehen und mit ihnen sprechen. Seine Mutter glaubt zunächst an eine überbordende Fantasie, doch als sie »Zeuge« einiger dieser Begegnungen wird und Jamie ihr Details, die ein Außenstehender unmöglich wissen kann, erzählt, akzeptiert sie die Fähigkeiten ihres Sohnes. Es bleibt ein Geheimnis zwischen ihnen, bis eines Tages Tias wichtigster Autor plötzlich verstirbt und keinerlei Aufzeichnungen zu seinem letzten und wichtigsten Buch hinterlässt. Tia, die sich finanziell verspekuliert hat, ist aber auf die Veröffentlichung des Buches angewiesen. Was liegt also näher, als ihren Sohn zu bitten, den Toten nach dem Manuskript zu fragen und das Buch selbst fertigzustellen? Ghostwriting im wahrsten Wortsinn sozusagen.

Der Stoff, den Stephen King in »Später« verarbeitet hat, ist nicht neu. Er selbst verweist auf den Blockbuster »The Sixth Sense« und es finden sich natürlich auch etliche subtilere Verweise auf seine eigenen Werke. Abgesehen von der Tatsache, dass Jamie die Toten sehen und mit ihnen sprechen kann, hat sich King aber durchaus ein paar zusätzliche Kniffe erdacht. Die Toten sind der Welt der Lebenden gegenüber gleichgültig und auch nicht unbedingt bösartig oder furchterregend, sie bleiben etwa eine Woche und verschwinden dann, werden blasser und leiser. Fragt man sie etwas, so antworten sie stets wahrheitsgemäß, denn das müssen sie. Und genau hier beginnt die Geschichte natürlich interessant zu werden.

Doch King wäre nicht King, wenn er nur mit einem Ass im Ärmel spielen würde. Und die Geschichte wäre sehr vorhersehbar, wenn es letztlich »nur« darum ginge, den Toten Geheimnisse zu entlocken. Und so bildet Jamies übersinnliche Fähigkeit einen gelungenen Rahmen für eine Geschichte, die vom Erwachsenwerden, von Enttäuschungen, Freundschaft, Liebe und natürlich von Mut und Stärke erzählt. Und das alles in gewohnt einnehmender Manier, wie es nur wenige Autoren vermögen. Ach und natürlich ist dies auch eine Horrorstory … zumindest später.
Für mich persönlich liegt aber das Augenmerk eher auf einer gut erzählten und spannend aufgebauten Coming-of-Age Geschichte, die mit Schauermomenten und Krimi-Aspekten gespickt wurde. Es gibt wunderbare zu Herzen gehende Weisheiten, Momente der Freundschaft, der Familienbande und des Vertrauens aber eben auch die einschneidenden Momente wie Vertrauensmissbrauch, Verrat und Lüge, die das Leben mit sich bringt.

»Mal ehrlich, das Schlimmste am Erwachsenwerden ist, dass es einen derart zum Schweigen bringt.«

King spielt wohl überlegt und legt zum Ende hin auch alle Karten auf den Tisch. Und das Ende kommt hier eher früher als später, nämlich bereits nach etwa 300 Seiten. Leider konnte mich das letzte Drittel dann auch nicht komplett überzeugen, das Tempo wurde angezogen – okay, doch auf mich wirkten die Ereignisse dann leider auch etwas plump aneinandergereiht. Es passierte viel aber einiges dann doch ein wenig zu gewollt.

Stephen King erfindet das Rad auch hier nicht neu, aber das muss er auch nicht, denn er versteht es wie kein anderer alle seine Geschichten zu einer großen Ganzen zu schmieden. Und so hat mich »Später« nicht nur gut unterhalten und fesseln können, auch gab es etliche wunderbare Momente im Roman, die mich bewegt haben. Ein Werk, das seine Stärke im Novellencharakter zeigt, und sicher nicht nur den eingefleischten King-Fans gefallen dürfte.