Rezension

Die gelbe Straße nimmt dich gefangen und lässt dich so schnell nicht mehr los

Die gelbe Straße - Veza Canetti

Die gelbe Straße
von Veza Canetti

Inhalt: „Die gelbe Straße handelt von der Unantastbarkeit des Menschen auch in seiner größten Gefährdung“ – Elias Canetti

Wien in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts: Die gelbe Straße ist die Straße der Lederhändler und ein Kosmos der jüdischen Welt: Die Trafik, an der es Tabak und Tratsch gibt, das Kaffeehaus, in dem die Männer die „Weiber fangen“, die Seifenhandlung und das Waisenhaus. Mit zärtlicher Anteilnahme und bissigem Spott beschreibt Veza Canetti eine untergehende Welt am Vorabend der großen Katastrophe. (Quelle: Buch)

Vor der Rezension: In Klassik Edition stelle ich euch Rezensionen zu etwas anderen Büchern vor. Bücher, die ich vielleicht im Zuge der Uni gelesen habe, vielleicht auch ein bisschen out-of-comfort privat und die eine Rezension wert sind. Ich spreche von Büchern, die viele unter euch als nervige Schullektüre bezeichnen würden. Mit der Ausnahme, dass die Bücher, die ich hier bespreche weg gehen von dem Lektürekanon. Ich möchte euch mit diesen Rezensionen zeigen, dass Klassiker auch toll sein können und da besondere Bücher auch besondere Rezensionen erfordern, werde ich die Rezensionen der Klassik Edition anders aufbauen als alle anderen. Schreibstil und Co sind bei diesen Büchern nicht wichtig. Der ist eh anders und meistens gewöhnungsbedürftig. Nein, ich möchte Literatur solcher Art kontextualisieren und weg gehen von „Was will der Autor uns damit sagen?“. Und wer weiß, vielleicht kann ich euch ja sogar dazu animieren den einen oder anderen Klassiker zu lesen und zu lieben.

Meine Meinung: Zunächst einmal muss ich sagen, dass ich mich in dieser Rezension an der einen oder anderen Stelle auf Das kunstseidene Mädchen beziehe. Diese Rezension findet ihr natürlich in der Übersicht. Das tue ich, um mich nicht öfter zu wiederholen, da beide Romane in der gleichen Zeit angesiedelt sind.

Die gelbe Straße besteht aus 5 Kurzgeschichten, die alle in der gelben Straße (einer fiktiven Straße in der Wiener Leopoldstadt, einem Judenviertel) spielen. Trotz ihrer Eigenständigkeit bauen sie jedoch aufeinander auf, indem viele Personen der einen Geschichte auch in anderen wieder auftreten. Auch Veza Canettis Roman ist sehr gesellschaftskritisch und setzt sich ebenso wie Das kunstseidene Mädchen mit dem aktuellen Zeitgeschehen auseinander. Während im kunstseidenen Mädchen jedoch hauptsächlich die neue Frau und das Scheitern von dieser beschrieben werden und es zudem noch in Berlin spielt, bekommen wir in Die gelbe Straße ein ganz anderes Bild dieser Zeit zu sehen. Wien ist zu dieser Zweit noch deutlich konservativer geprägt als Berlin und die neue Frau nicht oder nur in Ansätzen präsent. Vielmehr stehen Charaktere im Vordergrund, die auf irgendeine Art und Weise gezeichnet sind. Psychisch und Physisch labil, mit Gebrechen oder einer gescheiterten Existenz. Veza Canetti schreibt in einer fast schon düsteren Stimmung von der Existenz der Bewohner der gelben Straße. Trotz dieser teilweise schon Aussichtslosigkeit hat mir diese Sicht jedoch sehr gut gefallen. Besonders, weil ich einfach auch Charaktere mag, die ein bisschen weg vom Standard gehen.

Der Schreibstil Veza Canettis ist sehr schlicht, ja fast schon minimalistisch. Obwohl man es erst einmal gar nicht denkt, hat sich das Buch so sehr gut lesen lassen und konnte mich dadurch überzeugen. Mit diesem Minimalismus geht Canetti auch an ernstere, ja fast schon Tabuthemen, wie häusliche Gewalt, Prostitution und ähnlichem heran, wird nicht sehr emotional und lässt dem Leser so viel Spielraum für eigene Gedanken und Interpretationen. Auf jeden Fall bietet sie dem Leser jedoch sehr viel Gesellschaftskritik und das Bild einer Gesellschaft, das gerade deutschen Lesern vielleicht nicht so präsent ist.

Durch die tolle Mischung, durch das Düstere und durch das minimalistische Schreiben konnte mich Veza Canetti mit ihrem Roman überzeugen. Der Schreibstil gepaart mit den Tabuthemen regt zum Nachdenken an und schafft so derart viel Gesellschaftskritik, wie es kein anderes Buch schaffen könnte. Ich liebe den Spielraum der geschaffen wird und ich liebe die ganze Atmosphäre im Buch, sodass ich gar nicht wollte, dass das relativ kurze Buch zu Ende ist. Sowohl Das kunstseidene Mädchen als auch Die gelbe Straße treffen die Mentalität zur Zeit der Weimarer Republik perfekt. Zwar tendiere ich eher zur gelben Straße aber dennoch ist es unglaublich schade, dass zwei so talentierte Autorinnen ganz von der Bildfläche der Schullektüre verschwinden.

Bewertung: Wenn ihr düstere Atmosphären und von Leben geprägte Charaktere in Büchern liebt und absolut gerne einen minimalistischen Schreibstil lest und noch dazu gerne dazu angeregt werdet, über das gelesene nachzudenken, dann ist Die gelbe Straße eine absolute Empfehlung an euch. Mich konnte sie auf jeden Fall von der ersten bis zur letzten Seite überzeugen, weshalb ich liebend gerne 5 von 5 Füchschen vergebe.