Rezension

Die gelungenen Anfänge der Gruselliteratur

Frankenstein
von Mary Shelley

Bewertet mit 4 Sternen

"Ganz anders verhielt es sich, wenn die Meister der Wissenschaft nach Unsterblichkeit und macht strebten. Solche Visionen waren grandios, wenn auch sinnlos; doch nun war alles anders." S.63

Der Name 'Frankenstein' ist beinahe jedem ein Begriff. Meist wurde er durch die vielfachen Verfilmungen geprägt und sorgte so für ein gewisses äußerliches Erscheinungsbild, welches man gerne mit dem Namen verbindet.
Den Grundstein dieser 'monströsen' Erscheinung legte allerdings die Schriftstellerin Mary Shelley im Jahre 1818. Auffällig ist sofort, dass die Kreatur, die sein Erfinder 'Frankenstein' erschafft, keinen Namen zugeteilt bekommt und immer den Wunsch nach Zugehörigkeit und nach Identifikation thematisiert.
Der Roman gehört zu den Grundsteinen der Anfänge der 'Gothic Novels' und zeichnet sich daher auch durch eine gewisse Sprachwahl und auch Motivwahl aus. Für uns scheinen die aufgeführten 'Horrorelemente' noch recht harmlos, da wir heutzutage ganz anderes gewöhnt sind, dennoch spielt Mary Shelley mit schrecklichen Vorstellungen der Leser der damaligen Zeit, welche sich auf ein 'Monster' beziehen, das man sich kaum vorzustellen vermag. Und tatsächlich findet man auch keine ausführlichen Beschreibungen der Anatomie des Monsters. Grundsätzliche Äußerlichkeiten werden zwar erwähnt, letztlich liegt der Fokus aber immer stark auf den Empfindungen, den Fortschritten, den Ängsten und den wechselnden Gemütslagen, die Frankensteins Kreatur empfindet. So greift der Roman nicht nur wunderbar frühe Elemente des Grusels auf, sondern spielt auch mit den Eigenschaften des 'Menschlichen' und in wie weit man diese künstlich erzeugen kann.
Zudem spielt die Erzählung auch sehr stark mit dem Eindruck des Lesers gegenüber den Figuren. Wem traut man? Wer ist einem sympathisch? Verurteilt man das Monster von Anbeginn und bis zum Schluss? Und vor allem, lassen sich die Handlungen von Frankenstein und seinem Monster rechtfertigen?
Auch wenn man die Geschichte vielleicht basierend auf seinen Grundzügen zu kennen scheint, bietet der Text einem durchaus viele Ansatzpunkte, um viele Fragen in Bezug auf das Streben nach dem 'Unsterblichen' und 'Vollkommenen' zu stellen.
 

"Ach! Kein Sterblicher könnte das Grauen dieses Anblicks ertragen. Eine erneut zum Leben erwachte Mumie hätte nicht so entsetzlich sein können wie dieser Teufel."  S.84
 

Der Schreibstil selbst ist natürlich auch in der neuen Übersetzung an die ähnliche Wortwahl des Originals angelehnt. Das sorgt aber dafür, dass vielleicht gewisse naive Züge der Figuren oder sich scheinbar wiederholende Aspekte oder beschriebene Gemütszustände nicht langweilig oder banal erscheinen.
Zwischen den Schilderungen Frankensteins, die er Walton mitteilt, findet man auch etwas längere Passagen, welche die Orte und Schauplätze etwas ausführlicher beschreiben. Auch hier kann man als Leser zuerst das Gefühl verspüren, dass man dies gerne überfliegen würde, man stellt aber auch fest, dass diese Beschreibungen ein System verfolgen und sich zum Schluss gut ergänzen.
Wem diese Kriterien nicht so wichtig erscheinen beziehungsweise, wenn man sich gerne erst nach dem Lesen damit beschäftigen möchte, dem werden sicherlich auch die Anmerkungen, das Nachwort und die persönliche Anmerkung Mary Shelleys am Ende etwas weiterhelfen. Nicht nur der Roman liest sich spannend und mit interessanten und meiner Meinung nach sehr modernen Ansätzen, sondern auch die zusätzlichen Informationen.
 

"Nichts schmerzt die menschliche Seele so sehr wie eine große und plötzliche Veränderung." S.348

 

INSGESAMT: Einer der frühen Gothic Novel-Klassiker schlechthin in neuem Gewand. Überzeugt durch seine gut umgesetzte Thematisierung mit der Frage des 'menschlich seins' und dem Streben nach wissenschaftlichen Erfolgen, die Macht versprechen. Die gruseligen Elemente sind für unser heutiges Empfinden vielleicht etwas zurückhaltend, aber dennoch haben auch diese anfänglichen Elemente ihren ganz eigenen Reiz.