Rezension

Die Geschichte der Emanzipation am Beispiel von drei Generationen

Wildtriebe
von Ute Mank

Bewertet mit 4.5 Sternen

Die Autorin Ute Mank vermittelt in „Wildtriebe“ am Beispiel dreier Generationen wie sich die Wünsche, Bedürfnisse und Lebenskonzepte der Frauen in Deutschland des 20./21. Jahrhunderts komplett geändert bzw. emanzipiert haben. Während es für die Großmutter schon unverständlich war, dass die Schwiegertochter halbtags außerhalb des Bauernhofes arbeiten möchte, ist es für die Enkelin selbstverständlich, nach dem Abitur nach Afrika zu gehen. Diese unterschiedlichen gesellschaftlichen Rollenbilder führen natürlich im Prozess der Emanzipation zu Konflikten, die nur zu deutlich am Beispiel dieser Bauernfamilie herausgearbeitet werden.

Großmutter Lisbeth ist eine gebürtige „Bethches“. So werden seit jeher die Frauen des Bethches-Hofs, eines der angesehensten Gehöfte der Region, genannt. Da das Leben in der Nachkriegszeit hart war und sie den Hof und im Prinzip auch eine Männerrolle früh geerbt hat, ist sie sehr zupackend, zumal sich ihr ganzes Leben um die Leitung und das Ansehen dieses Hofes dreht. Dabei verharrt Lisbeth in der Frauenrolle, die seit Jahrzehnten auf dem Land genauso von Generation zu Generation vermittelt wurde: Es war beispielsweise üblich, dass mehrere Generationen (relativ) konfliktfrei unter einem Dach zusammenlebten, und dass sich die Jüngeren den Älteren unterordneten, um von ihnen zu lernen.  Mit Einzug der Schwiegertochter Marlies muss die traditionelle Bäuerin allerdings feststellen, dass sich das Leben in allen Bereichen ändert. Damit ist nicht nur die traditionelle Landwirtschaft gemeint – längst leben viel weniger Tiere auf dem Hof, dafür wird die Arbeit zunehmend durch Maschinen erledigt und durch Bürokratie erschwert -, sondern auch die Wünsche und das Handeln der Jüngeren. Marlies kann sich so gar nicht mit der ihr eigentlich vorgegebenen Rolle identifizieren. Dies mag auch daran liegen, dass Lisbeth sie stets mit Argusaugen überwacht und ihr Fehlverhalten kommentiert. Spannungen sind so von Beginn an vorprogrammiert. Nachdem Marlies trotz aller Bemühungen ihrer Rolle als Bäuerin nicht gerecht wird, geht sie mit der (notwendigen) Erlaubnis ihres Ehemanns Konrad, der wie alle Männer im Roman nur eine untergeordnete und sprachlose Rolle spielt, halbtags im Kaufhaus arbeiten. Auch die Geburt ihrer Tochter Joanna kann daran nichts ändern. Während Marlies noch schuldbewusst davon träumt, alle Rollenerwartungen hinter sich zu lassen, setzt Joanna dieses konsequent um und geht ihren eigenen Weg, der sie nach der Schule zunächst nach Namibia führt. Diese Loslösung von Konventionen erlaubt ihr erstaunlicherweise auch ein viel besseres Verhältnis zu ihrer Großmutter und ermöglicht ihr, ihre frühe Mutterrolle ganz anders und viel zwangloser zu erfüllen.

Im Mittelpunkt dieses atmosphärischen Romans steht also das Miteinander der drei Frauen, die alle ein Spiegel ihrer jeweiligen Zeit darstellen. Auffällig ist, dass sie niemals offen kommunizieren. Notwendige Modernisierungen in allen Bereichen werden von Lisbeth kategorisch abgelehnt. Dies führt unweigerlich zum Verfall der Familie und des traditionellen Bauernhofs.

Die authentische und feinfühlige Erzählung wird alternierend aus der Perspektive der beiden älteren Frauen erzählt und zeigt den Lauf der Zeit mittels der unterschiedlichen Lebensentwürfe. Der Leser kann so hervorragend die (gesellschaftlichen) Veränderungen nachempfinden und die jeweiligen Ansichten und Wertevorstellungen verstehen. Auch die fehlende Kommunikation wird hierdurch veranschaulicht. Mank gelingt es insofern grandios, nicht zu urteilen, wer an dem „Verfall“ schuld ist, sondern eben nur diesen Vorgang zu skizzieren. Auch sprachlich ist der Roman größtenteils ein stilistischer Leckerbissen. Lediglich der elliptische Stil – insbesondere häufig fehlende Verben –, der zwar gezielt eingesetzt wurde, um die Kommunikationslosigkeit auf dem Hof widerzuspiegeln, entspricht nicht meinem ästhetischen Empfinden.

Insgesamt lässt sich aber resümieren, dass es sich um einen absolut lesenswerten Roman handelt, der weniger durch eine spektakuläre Handlung als durch einen leisen, nachvollziehbaren Prozess der Dekadenz des Bauernhofs und durch eine gleichzeitige Emanzipation von Konventionen geprägt ist.