Die Geschichte einer iranischen Familie in Deutschland - literarisch dicht und in poetischer Sprache
Bewertet mit 4 Sternen
Reza ist noch ein Kind, als seine Eltern mit ihm vom Iran nach Deutschland ziehen. Hier leben sie in einem Viertel in Bochum, in dem Menschen der unteren Unterschicht bis zur mittleren Mittelschicht zu Hause sind. Der Familie fällt es nicht leicht, Anschluss zu finden. Sprache und Kultur sind ihnen fremd, ihre Nachbarn beäugen sie misstrauisch, ihre Abschlüsse werden nicht anerkannt. Auch nach Jahren in der neuen Heimat fühlt sich die Familie nicht zugehörig. Behzad Karim Khani erzählt davon, was es heißt, in einem Land anzukommen, ohne wirklich dort anzukommen.
Mit „Als wir Schwäne waren“ hat Behzad Karim Khani einen Roman verfasst, der deutliche autobiografische Züge aufweist. Er verleiht darin Reza seine Stimme. Reza ist der Sohn iranischer Einwanderer, der rückblickend seine und die Geschichte seiner Familie erzählt. Die Geschehnisse schildert er episodenhaft, sodass sich der Roman aus vielen Fragmenten in chronologischer Reihenfolge zusammensetzt. Der Autor bedient sich beim Schreiben einer höchst poetischen Sprache. Seiner Hauptfigur gibt er eine gewisse Distanz zu den Ereignissen, sodass Reza diese – obwohl er selbst Teil des Ganzen war – wie ein außenstehender, objektiver Beobachter recht emotionslos wiedergibt.
Khani schreibt über all die Probleme, die Menschen in Deutschland erwarten. Er weist auf kulturelle Unterschiede hin, erzählt von Sprachproblemen, der fehlenden Anerkennung von Abschlüssen und der Chancenlosigkeit. Er berichtet von Armut und Nachbarn, die deshalb ins kriminelle Milieu abstürzen. Er zeigt die Gewalt und Drogendelikte auf, die in Rezas Viertel vorherrschen. Und er erzählt, wie auch Reza selbst sich nicht gegen den Absturz schützen kann.
„Als wir Schwäne waren“ ist aber nicht nur eine Geschichte über die Perspektivlosigkeit einer emigrierten Familie, sondern es ist auch eine Geschichte von Vater und Sohn, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Auf der einen Seite der Vater, der in Deutschland nie Fuß fassen konnte, immer stiller wurde und vor allem über seine Gedanken und Gefühle nicht sprach. Über einen Vater, der Stolz und Würde besaß. Auf der anderen Seite der Sohn, der immer tiefer in die Kriminalität abrutschte und seinen Stolz noch heute sucht. Es ist die Geschichte zweier, die sich womöglich auch durch die Auswanderung voneinander entfernt und nie wieder so ganz zusammengefunden haben.
So viel uns der Autor über die Herausforderungen der Familie in Deutschland wissen lässt, so wenig gibt er an anderer Stelle preis. Das sorgt dafür, dass die Geschichte einerseits literarisch dicht erzählt ist, die Leerstellen andererseits aber einige Fragen aufwerfen: Wieso hatte die Familie den Iran überhaupt verlassen? Warum haben sie an ihrer Situation im Bochumer Viertel nicht früher etwas geändert, wenn sie nicht glücklich waren?
Obwohl „Als wir Schwäne waren“ in den 1980er und 1990er Jahren spielt, ist der Roman noch immer höchst aktuell und auf jeden Fall lesenswert.