Rezension

Die Gratwanderung zärtlicher Poesie

Auf Erden sind wir kurz grandios - Ocean Vuong

Auf Erden sind wir kurz grandios
von Ocean Vuong

Ein 240 Seiten langer Brief an eine Analphabetin. Leise Töne voller Wucht, eine zärtliche, lyrische Prosa, wie man sie selten liest. Ocean Vuong, selbst Einwandererkind aus Vietnam, hat seine wenig positiven Erfahrungen in den USA zu einem gleichermaßen schonungslosen wie furiosen Debütroman verarbeitet.

Ocean Vuongs Buch „Auf Erden sind wir kurz grandios“ soll ein Roman in Briefform sein. Ein Brief über 240 Buchseiten. Der Ich-Erzähler namens Little Dog schreibt an seine Mutter Rose, die Analpha­betin ist und daher das Geschriebene wohl nie lesen wird. Er erzählt von Vietnam und den Schrecken des Krieges, von einem amerikanischen Soldaten, der die Großmutter schwängert und verlässt, von der späteren Flucht der Familie in die USA. Dort verschlägt es den heranwachsenen Enkel Little Dog, seine schizophrene Großmutter Lan und Rose am Rand von Hartford/Connecticut. Die Mutter arbeitet in einem Nagelstudio, das Einkommen ist winzig. Sie scheint traumatisiert, pendelt bei der Erziehung ihres Sohnes zwischen entsetzlicher Brutalität und zärtlicher Zuneigung. Auch sonst hat es Little Dog in den USA nicht nicht leicht: Der anders aussehende Junge ist ein chancenloser Außenseiter und wird von Mitschülern und anderen Kindern gemobbt und geschlagen.

 

„Auf Erden sind wir kurz grandios“ ist kein optimistisches Buch. Auch wenn man wegen der parallelen Lebensläufe ständig versucht ist, den Autor mit seinem Helden gleichzusetzen, spürt man in jeder Zeile, dass hier kein Happy End möglich ist. Dass sich Little Dog mit keinem Wort beschwert, sondern stets in brutaler Stille zu leiden scheint, macht die Tristesse, die Traurigkeit und das kaum zu ertragende Unglück nur umso schlimmer.

 

Gibt es herzzerreißende Bücher, die einen nicht mehr loslassen? Falls nein: Ocean Vuong hat dennoch eines geschrieben. Gibt es eine Sprache, die auch in deutscher Übersetzung mit poetischer Eleganz die Seele zum Vibrieren und Tränen zum Fließen bringen kann? Falls nein: Vuong hat es diese Sprache gefunden. Seine Kombination aus knallhartem Realismus und zärtlicher Poesie ist fesselnd und ungeheuer spannend zugleich. Auch deshalb übrigens, weil der jugendliche Held Little Dog nicht nur mit seiner Mutter und rassistischer Ausgrenzung kämpft, sondern auch mit sich selbst ins Reine kommen muss: Er verliebt sich in einen amerikanischen Jungen, der diese Liebe zu erwidern scheint. Doch schnell zeigt sich, dass in Little Dogs Welt die Liebe nicht alles überwinden kann, nicht einmal ansatzweise.