Rezension

Die Grundel und der Krebs - oder: unterschätze nie einen erfahrenen Ermittler

Unter der Mitternachtssonne - Keigo Higashino

Unter der Mitternachtssonne
von Keigo Higashino

Bewertet mit 5 Sternen

In Osaka finden Anfang der 70er des vorigen Jahrhunderts spielende Kinder in einem leer stehenden Gebäude die Leiche eines Pfandleihers. Eine große Geldsumme, die Yosuke Kirihara an dem Tag bei sich hatte, bleibt verschwunden. In ärmlichen Verhältnissen stirbt kurze Zeit später eine allein erziehende Mutter, der man ein Verhältnis mit Kirihara nachsagt. Ihre elfjährige Tochter Yukiho wird von einer Verwandten adoptiert, die großen Wert auf klassische japanische Erziehung mit Teestunde und Ikebana legt. Rückblickend hat Yukiho mit ihrer Adoption offenbar das große Los gezogen, weil ihre sorgfältige Erziehung später zur Grundlage ihrer ersten Ehe mit einem angesehenen Partner und ihrem märchenhaften Erfolg als Geschäftsfrau wird. Als Yukiho und Ryo, der etwas seltsame Sohn des ermordeten Pfandleihers, in der 9. Klasse sind, ereignen sich in ihrem Umfeld sonderbare Dinge, von denen - Überraschung, Überraschung - stets Yukiho zu profitieren scheint.

Circa 10 Jahre nach Kiriharas Tod entsteht im Umfeld von Yukihos Jahrgang ein äußerst erfolgreiches kleines Unternehmen, das mit illegalen PC-Spielen handelt und ein geschicktes Händchen für die Beschaffung von Daten aller Art hat. Lange Zeit können betroffene Unternehmen sich nicht vorstellen, auf welchem Weg ihre höchst vertraulichen Daten in die Hände der Konkurrenz gelangen konnten. Yukiho wird zwar wiederholt von anderen Menschen als unangenehme Person, gar als Unglücksbotin eingeschätzt, geht jedoch aus allem ungeschoren hervor. So wie die Polizei schon 1973 im Mordfall Kirihara nicht genauer hinterfragte, wie Kinder denken, prüft auch später niemand nach, wie genau Yukiho geschäftlich so erfolgreich sein konnte. Ein privater Ermittler, der im Auftrag einer Unternehmerfamilie ihren Leumund als Heiratskandidatin unter die Lupe nehmen soll, wirbelt die alte Geschichte wieder auf; schließlich schaltet sich sogar einer der Ermittler von damals ein. Junzo Sasagaki ist nach 20 Jahren zwar längst pensioniert, blieb jedoch wie ein erfahrener Spürhund dem Fall von damals hartnäckig auf der Spur.

Keigo Higashinos 1999 im Original erschienener Krimi wirkt mit seinem Einblick in die japanische Hackerszene der späten 70er und frühen 80er leicht verstaubt. Für Krimileser, die auf jedes Detail achten, um dem Täter evtl. selbst auf die Spur zu kommen, ist dieser Band aufgrund seiner Detailfülle und seiner sorgfältig ausgelegten Handlungsfäden jedenfalls wieder ein Fest. Neben offensichtlichen Verbindungen zwischen Figuren gibt es konspirative Netze, die erst noch aufgedeckt werden müssen. Was wann wo passierte, bleibt anfangs zunächst vage. Erst in der zweiten Hälfte des Romans wird die zeitliche Einordnung klarer, während alle Handlungsfäden sauber wieder zusammengeführt werden. Alle Namen, Orte, Tatortspuren, Artefakte, selbst die Heimatdialekte der Figuren sind wichtig für die Aufklärung, so dass man aufmerksam lesen muss und sich am besten ein Soziogramm der Figuren aufzeichnet. Als ersten Higashino-Krimi würde ich das Buch nicht unbedingt empfehlen, Higashino-Kenner werden jedoch schon ahnen, was auf sie zukommt ...