Rezension

Die Haut der Welt aufschlitzen

Mr. Mercedes
von Stephen King

Wer Horror und Mystery in diesem neuen Roman des amerikanischen Erfolgsautors erwartet, wird enttäuscht sein. King hat mit „Mr Mercedes“ einen „normalen“ Thriller geschrieben, der die Banalität des Bösen im Alltäglichen thematisiert und genau deshalb umso intensiver auf den Leser wirkt.

Wir schreiben das Jahr 2009, die Rezession hat die Vereinigten Staaten fest im Griff. Viele Menschen haben ihre Arbeit verloren und leben von der Hand in den Mund. In den frühen Morgenstunden versammelt sich in einer Stadt im mittleren Westen eine Menschenmenge vor der Jobbörse, um eine der versprochenen Arbeitsstellen abzubekommen. Als plötzlich ein 2-Tonnen-Mercedes in die Menschenmenge rast, gibt es Tote und Verletzte, aber der Fahrer des mörderischen Boliden kann unerkannt entkommen.

Mittlerweile ist der mit dem Fall betraute Detective Bill Hodges im Ruhestand und lebt zwischen Langeweile, öden TV-Sendungen und Selbstmordfantasien, als ihn ein Schreiben des Mercedes-Killers erreicht, in dem er ihn herausfordert. Es braucht nicht viel, um den Jagdinstinkt des Polizisten zu wecken, der sich mit der Unterstützung des jungen Afroamerikaners Jerome daranmacht, Mr Mercedes zu entlarven und seiner gerechten Strafe zuzuführen.

Dem Autor reichen wenige Zeilen, um die Verzweiflung und die Hoffnungslosigkeit der Menschen zu skizzieren, die in Umständen gefangen sind, aus denen sie sich kaum befreien können. Ob das nun die Arbeitslosen sind, die sich vor dem Jobcenter versammeln, oder der Detective im Ruhestand, der keinen Sinn in seinem Leben sieht und immer öfter mit dem Gedanken spielt, den Schlusspunkt zu setzen. Aber da ist auch noch der Killer, ein Niemand und deshalb gierig nach seinen fünf Minuten Rum, besessen von dem Wunsch, Detective Hodges und der Welt zu beweisen, dass er ein unschlagbares Superhirn ist, das „die Haut der Welt aufschlitzen und eine Narbe hinterlassen möchte“.

King ist immer dann am besten, wenn er Alltägliches beschreibt, denn er schaut genau hin. So entsteht Literatur in der Tradition der großen amerikanischen Erzähler – nachdrücklich empfohlen!