Rezension

Die Himmelsrichtung heisst Vorwärts!

Windsbraut - Sylvia Brandis

Windsbraut
von Sylvia Brandis

„Wir sind klein, winzig klein, das ist das Gute an Himmel und Meer, dass sie uns das nie vergessen lassen“, sagt einer der Lebensgefährten der nach Schweden ausgewanderten Equitherapeutin Sylvia Brandis. Sie lebt jetzt auf einem Hof auf Öland, lebt dort im Einklang mit der Natur, lebt mit Pferden und Büchern ein reiches Arbeitsleben. Und ist geerdet: Durch die Natur, durch ihre Erfahrungen, durch Disziplin, Verlässlichkeit und Vertrauen in sich und das Schicksal, und durch das Reiten unter einem weiten Himmel, gespannt über einem kargen Land, in dem ihr Heimweh nach Schleswig- Holstein zur Ruhe gekommen ist.

Ihre Lebensrichtung hat immer „Vorwärts“ geheissen, selbst als sie noch nicht so recht wusste, wohin der Lebensweg führen sollte und bis sie endgültig seßhaft wurde hat es mehrere Umbrüche gegeben. Ein anderes Motto „was man nicht kann, kann man schliesslich lernen“ hat sie unter anderem zur Melkerin gemacht und ihr in prekären Lebenslagen weiter geholfen.

Pferde und Männer haben eine grosse Rolle gespielt, die Liebe und das Glück. Dabei überwog die Liebe das Glück, jedenfalls soweit es Männer angeht, „die Verlorenheit der Männer“ geht ihr nahe. Einen davon hat sie auch geheiratet, doch es hielt nicht, manchen hat sie geliebt, keinen gleich, jeden intensiv. Jede ihrer Beziehungen hat etwas gegeben und etwas genommen. Eine Liaison mit einem viel älteren Schriftsteller, die sie mit zwanzig eingeht, hält sie lange fest und klingt über dessen Tod hinaus nach.

Die Pferde und das Glück, Halten und Loslassen, sind ein durchgehendes Muster. Jedes Pferd, von dem sie in ihrem Buch erzählt, ist eine Persönlichkeit. In einer bestimmten Lebensphase hat sie zu viel Pferd um sich gehabt, so dass sie mit den Tieren nur noch arbeiten konnte, aber sie nicht mehr kennt in ihrer Tiefe und Individualität. Das will sie nicht. Sie bricht auf zu einer Findungsphase im tiefen Schweden, da, wo es richtig viel düsteren Wald gibt, Elche, Füchse und Verwunschenheit, wo sie mit ihrem kleinen Sohn und zwei Pferden auftankt und Kinderbücher schreibt. „Ich wollte nicht mehr mit Pferden arbeiten, sondern mit ihnen leben“. Das tut sie. Aber es ist noch nicht das Richtige. „Die Schweden sind verrückt“ singt ihr Söhnchen einen Refrain, den ein unvernünftiger Besucher ihm beibringt, und ein bisschen stimmt es wie überall.

Die Autorin schreibt über Pferde, also über ihre Arbeitswelt, denn als Equitherapeutin wird sie zu schwierigen Fällen überall im Land gerufen und mit der ihr eigenen Geduld, ihrem Einfühlungsvermögen und ihrer Kompetenz gelingt es ihr, ihren Patienten zu helfen. Meist liegt es am Menschen, wenn ein Pferd Probleme hat. Es ist dem Menschen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert und leider trifft man häufig auf letzteres. Ihre Liebe gehört den Friesenpferden, die sie in Schweden und darüber hinaus bekannt gemacht hat.

Und die Autorin schreibt über sich. Und was bedeutet es, wenn man über sich schreibt? Man schreibt über Liebe und Tod, über Einsamkeit, Trauer und Erfüllung. Grosse Themen in kurze Sentenzen verpackt, vorgetragen elegant und kraftvoll, meinem literarischen Anspruch voll entsprechend, weise sogar, und manchmal schimmert die Herbheit des Lebens durch. Die Begebenheiten ihres Privatlebens rühren mich an und ich lese still und scheu.

Dass sie weiss, was sie tut, das ist das Geheimnis ihres Erfolges als Equitherapeutin ebenso wie als Schriftstellerin. Und ihre Phantasie und ihre Lyrik, die auch in der Prosa zum Ausdruck kommt.

Fazit: „Windsbraut“ ist ein Buch zum Träumen, jedoch weit entfernt von romantischem Kitsch. Es ist ein Sachbuch und liest sich wie ein Roman. Es vermittelt Empathie, Lebensfreude, wertvolle Kenntnisse und Schmerz. Für den vollen Lesegenuß muss man sich ein bisschen einlassen auf den Stil und die Gangart der Autorin, denn sie ist eine eigenwillige Schreiberin, doch man sollte ihr Buch lesen und man versäumt etwas, wenn man es nicht tut. Und für jeden, der mit Pferden zu tun hat, ist es ein absolutes Muß!