Rezension

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Solange die Hoffnung uns gehört - Linda Winterberg

Solange die Hoffnung uns gehört
von Linda Winterberg

Bewertet mit 5 Sternen

~~1933. Nachdem Ehemann Johann starb, lebt Anni Kluger lebt allein mit ihrer 6-jährigen Tochter Ruth in Frankfurt, wo sie als Sopranistin am dortigen Opernhaus ein gefeierter Star ist. Ruth begleitet sie oft in die Oper, um sich mit Hilfe der Seele des Hauses in Gestalt von Garderobiere Georgina alias Norbert Baum zu verkleiden oder beim Schminken und Stylen der Künstler zuzusehen. Die Oper ist Ruths zweites Zuhause, dort fühlt sie sich sicher und wohl umgeben von wunderbarer Musik. Ihr zweitliebster Platz ist auf der Bank neben ihrem Freund, dem Nachbarsjungen Walter, der so herrlich Klavierspielen kann. Plötzlich wird Anni mitten in der Generalprobe entlassen, denn sie gilt als Jüdin, obwohl sie schon als Kind zur Protestantin wurde und nur ein altes jüdisches Schlaflied sie daran erinnert, dass sie aus einer jüdischen Familie stammt. Auch Ruth kennt dieses Lied, singt sie es doch oft gemeinsam mit ihrer Mutter vor dem Einschlafen. Anni findet kein neues Engagement und die Zeiten in Deutschland werden immer rauer. Als Walter mit einem Kindertransport nach England aufbricht, entscheidet sich auch Anni dafür, Ruth ebenfalls nach England zu schicken, um ihr ein besseres Leben zu ermöglichen, während sie weiterhin versucht, ein Ausreisevisum fürs Ausland zu bekommen. Während Ruth in England auf einer Schule wieder auf Walter trifft und glücklich mit ihm zusammen aufwächst, wird das Leben für Anni in Frankfurt zur Tortur. Nur mit Hilfe ihrer Nachbarn und Georgina, die sie immer wieder verstecken, kann sie der Gestapo bisher entfliehen. Anni hält nur der Gedanke aufrecht, irgendwann ihre Tochter Ruth wieder in die Arme zu schließen und gemeinsam mit ihr das alte Schlaflied zu singen. Werden sich Ruth und Anni je wiedersehen?
Linda Winterberg hat mit ihrem Buch „Solange die Hoffnung uns gehört“ einen wunderschönen und sehr emotionalen historischen Roman vorgelegt. Der Schreibstil ist flüssig und schonungslos, dabei gefühlvoll und spannend bis zur letzten Seite. Der Leser ist von Beginn an ein Teil der kleinen Familie Kluger, erfährt alles über Anni, Ruth und sämtliche Nachbarn und muss doch hilflos zusehen, wie diese Menschen unter der damaligen Politik und Weltanschauung zu leiden hatten. Die Handlung erstreckt sich über einen Zeitraum von 1933 bis 1955. Der geschichtliche Hintergrund wurde von der Autorin akribisch recherchiert und mit der Geschichte auf wunderbare Weise verflochten. In einem Nachwort gibt es erklärende Hinweise, welche Personen Pate für den Roman gestanden haben bzw. welchen großen Stellenwert die Kinderverschickung im zweiten Weltkrieg hatte.
Die Charaktere sind sehr individuell ausgearbeitet und mit Leben erfüllt worden. Sie wirken durchweg sehr authentisch, denn als Vorlage dienten reale Personen der damaligen Zeit, die auf diese Weise wieder lebendig werden. Anni ist eine sehr sympathische Frau, die ihre Tochter und die Musik abgöttisch liebt. Sie ist hilfsbereit, mutig und tapfer, doch irgendwann überkommt auch sie die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, was der damaligen Zeit und ihrer Situation im Besonderen geschuldet ist. Ruth ist ein lebensfrohes Mädchen, das in der Musik Trost und Zuversicht findet. Sie ist offen und ehrlich, durch die Lebensumstände allerdings auch misstrauisch und zurückhaltend. Es ist traurig mitanzusehen, wie sich Ruths Verhalten durch die äußeren Einflüsse verändert und ihr nahezu die Kindheit raubt. Walter ist ein in sich gekehrter Junge, der in seinem Klavierspiel aufgeht und alles um sich herum zu vergessen scheint. Nur Ruth lässt er näher an sich heran. Georgina alias Norbert ist die gute Seele, immer zur Hilfe kommend, immer einen lustigen Spruch auf den Lippen, obwohl auch er zu den Verfolgten des damaligen Regimes gehört. Auch die anderen Protagonisten wie Hiltrup oder Heinrich sind mit ihrem Auftreten heimliche Stars in diesem Roman, stützen sie doch die Handlung auf ihre ganz besondere Art und Weise.
„Solange die Hoffnung uns gehört“ ist ein fesselnder Roman über ein trauriges Stück deutscher Geschichte, der den Leser die ganze Bandbreite der Emotionen durchleben lässt. Großes Gefühlskino und ein absolutes Highlight für alle, die historische Romane lieben und ganz in die Handlung eintauchen möchten. Absolute Leseempfehlung und ein großes Lob an die Autorin! Chapeau, einfach wunderbar!!!