Rezension

Die Kraft des Glaubens, die Macht des Zweifels

Loney - Andrew Michael Hurley

Loney
von Andrew Michael Hurley

Bewertet mit 4 Sternen

„Loney“ ist keine Gruselgeschichte, kein Grauen erregender Schauerroman und keine englische Gothic Novel. Aber der Roman besitzt ausreichend Nebel, englisches Moor, unheimliche Dorfbewohner, eine gefährliche Halbinsel („The Loney) und ein geheimnisvolles Ereignis in der Vergangenheit, dass alle Komponenten eines Schauerromans beisammen sind. Sogar das Übersinnliche fehlt nicht.

Eigentlich gibt es vom Übersinnlichen sogar zu viel - und zwar zu viel inbrünstigen Glauben. Eine Gemeinschaft streng gläubiger Katholiken - im anglikanischen England sowieso schon ungewöhnlich - fährt jährlich zur Osterwallfahrt in die Nähe des nordwestenglischen Coldbarrow. Mummer und Farther, die Eltern des Ich-Erzählers Tonto und seines zurückgebliebenen Bruders Hanny, beten dort am Schrein für das Wunder von Hannys Genesung. Unruhe kam in die Gemeinschaft, als der strenge, alte Pfarrer Wilfried zuerst nach einem Ereignis am Strand von Coldbarrow sein Wesen verändert hat und schließlich gestorben ist. Nach Jahren bricht die Wallfahrergruppe mit dem neuen Pfarrer nach Coldbarow auf, um alles so zu erleben, wie es immer war. Doch natürlich ist es nie so, wie es immer war, ganz im Gegenteil.

Hurley nimmt sich sehr viel Zeit für seine Handlung, wobei er ausgesprochen geschickt die Puzzleteile seiner Geschichte ins Spiel bringt. Zunächst erfährt man vom Verhältnis der beiden Brüder, das von der Behinderung Hannys geprägt war, für den Tonto stets dagewesen ist. Duch Tontos Augen sieht der Leser den verstorbenen Pfarrer Wilfried mit seinem erstarrten Glauben und seiner Altherrenstrenge; die verkrustete Ehe der Eltern, in der vor allem Mummer zu einem starren System von Entsagung, Gebet, schriller Hoffnung und sklavischem Fsthalten am Gegebenen gefunden hat; auf die anderen Mitreisenden und ihre Fehler; und natürlich auf den Ort der Handlung: Coldbarrow, der Strand an der irischen See und die Halbinsel Loney, um die sich schauerliche Geschichten ranken. Die langsame Einführung der erhellenden Details der Handlung, von der man ab dem ersten Kapitel weiß, dass es um die rätselhafte Heilung Hannys gehen muss, störte nicht beim lesen. Wo man sonst oft das Gefühl hat, vom Autoren absichtlich ahnungslos gehalten zu werden, versteht es Hurley durch die dichte Beschreibung der Personen und Interaktionen sowie vereinzelte Sprünge in die Vergangenheit, des Lesers Wachsamkeit aufrecht zu erhalten.

Die Sprache ist dem Roman angemessen: Einerseits ist sie ernst und düster wie der starre Glaube der Wallfahrer oder das miserable Wetter im Nordwesten Englands, andererseits schön und menschlich, wenn es um die beeindruckende Rauhheit der Landschaft oder die handfest-mitfühlende Persönlichkeit des neuen Pfarrers Bernard geht.

Das Ende des Romans überrascht, auch weil man sich mit den Skeptikern der transzendenten Welt - dem ich-Erzähler oder Father Bernard gegen die frömmelnden Götzendiner - etwa Mummer oder ein paar unheimlich Dorfbewohner - verbündet hat und nun doch auf etwas - sagen wir: - Überirdisches trifft. Doch die behutsame Darlegung der Kraft des Glaubens, die Macht des Zweifels und die stete Wandelbarkeit der „Wahrheit“ überzeugt: „Loney“ ist ein gutes Buch, das seine Leser zum langsamen Genießen und verstehen einlädt.