Rezension

Die Kraft zur Auflehnung

Ich schweige nicht - Jakob Knab

Ich schweige nicht
von Jakob Knab

Bewertet mit 5 Sternen

»Gibt es, so frage ich Dich, der Du ein Christ bist, gibt es in diesem Ringen um die Erhaltung Deiner höchsten Güter ein Zögern, ein Spiel mit Intrigen, ein Hinausschieben der Entscheidung in der Hoffnung, daß ein anderer die Waffen erhebt, um Dich zu verteidigen? Hat Dir nicht Gott selbst die Kraft und den Mut gegeben zu kämpfen? Wir müssen das Böse dort angreifen, wo es am mächtigsten ist, und es ist am mächtigsten in der Macht Hitlers… Wir schweigen nicht, wir sind Euer böses Gewissen; die Weiße Rose läßt Euch keine Ruhe!«

Wer Hans Scholl war, muss man niemandem erklären. Obwohl, oder gerade weil er nur 24 Jahre alt wurde. Biographien und Bücher über ihn mit unterschiedlichen Ansätzen gibt es auch schon, dieses hier fragt schwerpunktmäßig danach, was Scholl beeinflusste und prägte, welche Gedanken ihn bewegten und motivierten.

 

Hans Scholl wurde am 22. September 1918 geboren. Wie so viele andere Jungen machte er begeistert bei der HJ mit, war dort so erfolgreich und engagiert, dass er bald Fähnleinführer wurde und 1935 beim Reichsparteitag in Nürnberg Fahnenträger war. Was geschah dann? Was bewegte ihn zum Umdenken, zur Neuorientierung?

 

Es gibt kein einzelnes Erlebnis, was da heraussticht, vielmehr war es die Summe von Erlebnissen und Gelesenem, die letztlich einen extremen Standpunkt in einen gegensätzlichen wandelte. Schon der Junge versank in Büchern, doch waren es bei ihm keine Jugendliteratur, sondern Autoren wie Rilke oder Stefan Zweig, die ihn fesselten. In der Folge kamen zahlreiche Denker dazu, nicht wenige ihrer Werke waren schon schwer zu bekommen, da mittlerweile verboten. Scholl las Nietzsche und Platon, diverse Werke von Kirchenlehrern, er las französische Autoren – im Original, da er die Sprache liebte und lernte, bis er sie fließend sprach. Fasziniert las ich, welch umfangreiche private Bibliothek Scholl besaß und fragte mich mehr als einmal, wo er eigentlich die Zeit hernahm, all diese Werke zu lesen!

 

»Er war auf der Suche nach Wahrheit, seiner eigenen Wahrheit. Er spürte die Unruhe, die ureigene Notwendigkeit der jungen Generation, seinen eigenen Weg zu erkunden. Er wollte das einfordern, was ihm wahrhaft gehört: sein eigenes Leben. Seine „Lesewut“ erfuhr er als große Möglichkeit, zu seiner eigenen Lebensspur und seiner persönlichen Freiheit zu finden. Autoren und deren Bücher begleiteten und prägten seine geistige Entwicklung. Seine private Bibliothek gehörte zu seiner Identität.«

 

Wie sollten einem jungen Mann, der so viel las und über das Gelesene nachdachte, nicht arge Zweifel kommen an dem, was er täglich erlebte? Eine Anklage wegen homosexueller Handlungen und eine anschließende mehrmonatige Haft lösten eine erste Krise aus und gaben ihm noch mehr Zeit und Anlass zum Nachdenken.

Der Medizinstudent war natürlich auch Soldat und als Sanitäter an der Front. Großes Mitleid mit den zahllosen Opfern des Kriegs erfasste ihn. Scholl wendete sich zum Christentum, in Hitler erkannte er das Böse, das es zu bekämpfen galt.

 

Dieses Buch begleitet Scholl durch seinen Sinnfindungsprozess. Was gut ist und was böse, diese Frage hat er sich nicht leichtgemacht. Zudem hatte er wohl eine depressive Veranlagung, immer wieder war er von Niedergeschlagenheit geplagt, dann sprach er von „dunklen Schatten“, die ihn umgaben. Er hatte starke Stimmungsschwankungen, wenn er gut drauf war, war er ein charismatischer Anführer und ein Frauenschwarm. Die Liste seiner Frauenbeziehungen ist lang, erneut fragte ich mich, wo er die Zeit hernahm. Bücher, Diskussionen, Medizinstudium, Sanitätsdienst, Widerstand, Frauen – sein Tag muss mehr als 24 Stunden gehabt haben.

Tatsächlich gibt es Anzeichen für Medikamentenmissbrauch, es wäre auch leicht für ihn gewesen, sich Pervitin oder z.B. Ephedrin zu besorgen. Er wirkte wie ein Getriebener, als wenn er unterbewusst ahnte, dass ihm nicht viel Zeit blieb.

 

Die Widerstandstätigkeit mit der Weißen Rose wird natürlich ausführlich dargestellt. Die Weiße Rose, das waren bei weitem nicht nur Hans und Sophie Scholl, der Autor würdigt hier auch die übrigen Mitglieder. Entstehung der Flugblätter und Verteilung, Kontakte zu anderen Köpfen des Widerstands, Gefangennahme, Prozess, Hinrichtung – all das findet sich selbstverständlich im Buch.

 

Sehr gut gefiel mir der Abschnitt zur Erinnerungskultur. Dabei wird erläutert, wie wertvoll diese ist, es werden verschiedene andere Biographien, Bücher und Filme vorgestellt und verglichen. Die vielen nach den Geschwistern Scholl benannten Schulen, Plätze, Orte finden ebenso Erwähnung wie die regelmäßig stattfindenden Gedächtnisvorlesungen. Aus einigen gibt es Auszüge zu lesen, sehr wertvolle Worte waren dabei! Im Anhang finden sich sämtliche Flugblätter, einschließlich des Entwurfs für Flugblatt Nummer VII, das nicht mehr fertiggestellt werden konnte.

 

Fazit: Wie fand ein intelligenter junger Mann die Kraft zur Auflehnung? Hochinteressant und auch heute von großem Wert. Nicht immer einfach zu lesen, da teils recht philosophisch, aber es lohnt sich.

 

»Die Geschichte des Widerstandes gegen das NS-Regime bleibt eine Herausforderung für die nachlebenden Generationen. Erinnerungskultur ist unverzichtbar. Nur wer die eigene Identität als Ergebnis vorausgegangener Entwicklungen kennt und auch auslegen kann, wird die Gegenwart verantwortungsvoll gestalten und der Zukunft unverzagt entgegengehen.«