Rezension

Die Kunst und das Leben

Die Gesichter
von Tom Rachman

Bewertet mit 4 Sternen

Kunst kommt von Können, käme sie von Wollen, hieße sie Wulst. Dieser Ausspruch wird häufig Max Liebermann zugeschrieben, der wahrscheinlich aber nur selber jemand anderen zitierte und sich um das Urheberrecht damals einfach noch keinen Kopf machte. Weil er es außerdem ziemlich satt hatte, nur nach des Kaisers Meinung Kunst machen zu sollen, hat er gleich noch mit anderen Künstlern seiner Zeit eine eigene Kunstgemeinschaft in Berlin auf die Beine gestellt. Impressionisten wie er, waren die Avantgarde damals vor über 100 Jahren. Liebermann ist bis heute bekannt, viele Künstler seiner Zeit haben es nicht in den allgemeinen Kunstkanon geschafft und wurden schlichtweg vergessen. Warum das so ist, ist wohl ähnlich wie in der Literatur ein kleines Mysterium. Vielleicht spielt die richtige Mischung aus Glück, Persönlichkeit, Ehrgeiz und wichtigen, richtigen Beziehungen eine Rolle, vielleicht ist es Schicksal oder schlicht einfach Können. Auch Tom Rachman scheint sich nicht ganz schlüssig zu sein, was das Geheimnis um den Erfolg ausmacht. Er widmet einen ganzen Roman einer eigentlichen Nebenfigur, nämlich nicht dem Künstler selbst, sondern seinem Sohn, und schafft damit einen spannenden Diskurs über den Kunstbetrieb und das Künstlertum über mehrere Jahrzehnte aus der Perspektive des Nichtkünstlers, der dennoch ganz nah an der Kunst steht. Dieser Roman fasst vieles in sich zusammen und will sich vor allem nicht mit einer sympathischen Hauptfigur beim Leser anbiedern. Pinch ist selbst als kleiner Junge kein richtiger Sympathieträger, maximal den Mitleidbonus spielt er aus und wird als Erwachsener zuweilen eine richtige Zumutung. Er hat es natürlich auch nicht leicht. Aber das haben alle Kinder von Bear Bavinsky nicht. Der abstrakte Maler ist ein echter Lebemann, wechselt alle paar Jahre die Frau und mit ihr auch den Kontinent, das Land oder zumindest den Bundesstaat. Aus jeder Beziehung entsteht mindestens ein Kind der Liebe und am Ende seines Lebens blickt er auf eine stattliche Anzahl von 17 Kindern zurück. Kinder, die den Vater immer nur für wenige Jahre um sich hatten und ihn dann nur noch aus der Ferne erleben. Auch Pinch ergeht es so. Ohne den berühmt berüchtigten Vater versinkt seine Mutter Nathalie in eine Depression nach der anderen. Ihre Karriere als Keramikkünstlerin will einfach nicht gelingen, der Kontakt zur eigenen Familie ist abgerissen, einzig der Sohn bleibt ihr, den sie zum Malen ermuntert, ihm Talent zuspricht. Doch für Pinch zählt allein das Wort seines Vaters und der braucht nur einen einzigen Satz, um den Traum vom Künstlertum für immer zu beenden. Pinch versinkt nach einem kurzen Aufblühen am College in einem eintönigen Alltag als Lehrer für Fremdsprachen in London. Ihm fehlt das charismatische seines Vaters und das Zutrauen in sich selbst, ihm fehlt aber auch die Vision von einem eigenen Leben, weil er immer nur eines will: den Vater beeindrucken. Den großen Künstler, der sich den Spleen leisten kann, nur an Museen zu verkaufen und sich dem sonstigen Kunsthandel zu verweigern. Der um sein Spätwerk ein Riesengeheimnis macht, in seinen Kindern nur noch Aasgeier wittert, die möglichst viel aus seinem Erbe herausschlagen wollen. Und so entspannt sich eine absurde, traurige, berührende und nachdenklich machende Geschichte um Pinch Bavinsky und seinen Vater Bear. Tom Rachman hat einen Blick für unglückliche Gestalten. Er breitet ihr ganzes belangloses Leben vor uns aus und wirft ihnen zwischendrin ab und zu kleine Rettungsseile zu, die sie nicht in der Lage sind zu ergreifen, weil sie ja mittendrin in ihrer eigenen Geschichte sind. Wir als Beobachter möchten sie schütteln, ihnen Selbstbewusstsein und Stärke geben, ihnen die Wahrheit sagen, zumindest so wie wir sie interpretieren, um sie aufzurütteln und ihnen Mut zu machen. Und ganz unmerklich ist einem die unsympathische Hauptfigur ans Herz gewachsen. Kunst kommt von Können – und Rachman kann.