Rezension

Die Lebenswelten von Frauen in der heutigen russischen Gesellschaft

DAFUQ -

DAFUQ
von Kira Jarmysch

Bewertet mit 5 Sternen

Dafuq, the fuck, what the fuck: Schon der Titel von Jarmyschs Roman macht durch seine Unverfrorenheit und durch das Suggerieren von Zorn, Frust, Wut und Unverständnis auf sich aufmerksam. Hinzu kommt die interessante Biographie der Autorin. Jarmysch arbeitet als Sprecherin für den Oppositionspolitiker Alexey Nawalny und wurde noch im Januar 2021 festgenommen. Dass der Roman sich nicht scheuen wird, Kritik zu üben, dass er nichts beschönigen wird und wahrscheinlich auch provozieren wird, lässt sich schon anhand des Titels und des Lebenslaufs der Autorin ableiten.

Die Protagonistin des Romans ist Anja. Nachdem sie an einer unangemeldeten Demonstration gegen Korruption in Moskau teilgenommen hat, findet sie sich in Untersuchungshaft wieder. Obwohl sie nicht an der Organisation der Demonstration beteiligt war, wird sie festgehalten und schließlich zu einem zehntägigen Arrest verurteilt. Ihre Zelle in der Arrestanstalt teilt sie mit fünf anderen Frauen, die wegen Trunkenheit oder Fahren ohne Führerschein einsitzen. 

Es sind die Stimmen und Geschichten dieser sechs Frauen, die den Roman tragen. Auf engstem Raum prallen diese Lebenswelten der Frauen aufeinander und zeugen von der Vielschichtigkeit der heutigen russischen Gesellschaft. Da ist zum Beispiel die heruntergekommene Irka, die alkohol- und medikamentenabhängig ist und für ein Glas Alkohol mit Männern schläft. Maja hingegen ist jung und hübsch. Sie hat sich zahlreichen Schönheits-OPs unterzogen, achtet auf ihr Äußeres, lässt sich von ihren reichen Liebhabern teure Geschenke machen und ihren Lebenswandel bezahlen. 

Anjas Geschichte legt die Autorin nur stückweise und in Rückblicken frei. Es ist eine Geschichte von der Sehnsucht nach Freiheit und Unabhängigkeit, von der Suche nach dem eigenen Platz in der Welt, von der Beziehung zu den Eltern, von Sexualität und schließlich auch von Politik und dem Wunsch nach Gerechtigkeit. 

Jarmyschs Erzählstil ist klar und schnörkellos und sie scheut sich nicht davor, Anjas Aufenthalt in der Arrestanstalt im Detail zu beschreiben. Und trotzdem wirkt der Roman an keiner Stelle langatmig und verliert nie seinen roten Faden. Kritisch, ernst, humorvoll: All diese Töne vereint die Geschichte in sich. Sie erzählt von den Schicksalen der Frauen, vom Erwachsenwerden, von der Enttäuschung der jüngeren Generationen über die Regierung und schließlich legt er die Denkmuster und Lebensweisen, die sich durch die heutige russische Gesellschaft ziehen, frei. 

Man kann diesen Roman verpassen, man sollte es aber nicht. Denn er überzeugt bis zum letzten Satz, hinterlässt einen bleibenden Eindruck und brennt sich mit seiner kraftvollen Geschichte und seinen unvergesslichen Figuren in das Gedächtnis des Lesers ein. 

Das letzte Lob muss neben der großartigen Leistung des Übersetzers Olaf Kühl auch dem Rowohlt Verlag gelten, der das Buch in einer tollen Optik herausgebracht hat, die gar nicht besser mit der Geschichte harmonieren könnte.