Rezension

Die Leere der eigenen Finsternis

Sechs Tage - Kelli Owen

Sechs Tage
von Kelli Owen

Bewertet mit 3.5 Sternen

Als sie erwachte, glaubte sie blind zu sein, denn nichts als Schwärze umgab sie - eine leere Dunkelheit, die sie umschloss. Jenny wurde entführt, kann sich an die Umstände aber nicht erinnern und hat auch keine Ahnung, wer ihr dies angetan haben könnte. Doch das Warum oder wer dahinter stecken könnte, ist zunächst nicht von Bedeutung, viel wichtiger ist es zu entkommen, denn alles deutet darauf hin, dass sie nicht die erste Gefangene ist und ihr nur sechs Tage bleiben, um zu fliehen. Die Zeit läuft unerbittlich ...

Leseeindruck

"Sechs Tage" ist ein Psychothriller, der recht ruhig und langsam erzählt wird. Der Fokus liegt hier ganz klar auf den Seelenqualen der Protagonistin Jenny (und zwar mehr auf den Vergangenen, als auf den Gegenwärtigen). Ihre Gedanken und Gefühle - ihre ganze Persönlichkeit wird Stück für Stück im Handlungsverlauf offengelegt. Der Leser ist bei Jenny, weiß nur das, was sie selbst auch weiß und tappt so buchstäblich gemeinsam mit ihr im Dunkeln. Während der Gefangenschaft driftet Jenny immer wieder in ihre Erinnerungen ab und wir erfahren so mehr über ihre Vergangenheit, ihr Leben und ihre Dämonen. Diese Rückblenden sind wirklich spannend, weil sie den Blick auf eine komplizierte Persönlichkeit und ein komplexes Leben freigeben. Und immer wieder kehren wir in die Gegenwart zurück und fragen uns - genau wie Jenny - warum bin ich hier, wer hat mir das angetan und was passiert mit mir? Jennys Kampf ums Überleben wird mehr und mehr zu einer Seelenbeichte, indem sie ihr Innerstes nach Außen kehrt. Schon bald wird klar: Dieser Kampf ist härter und brutaler, denn um ihn zu bestehen, muss sie sich den Dämonen ihrer Vergangenheit stellen.

"Hier war sie in einer Dunkelheit, die sie eigentlich fürchten sollte, doch sie fürchtete die Leere ihrer eigenen Finsternis weit mehr."

Die Autorin lässt sich Zeit und beschreibt Jennys Gedankengänge sehr ausführlich. Besonders bei den Teilen in der Gegenwart (in ihrem Gefängnis) ist das manchmal etwas zu viel des Guten für meinen Geschmack. Hier empfand ich hin und wieder doch Längen, die den Drang zum Weiterlesen bremsten. Im Gegensatz dazu wurde meines Erachtens zu wenig auf die lebensbedrohlichen Begleitzustände der isolierten Gefangenschaft eingegangen. Ich denke, wenn ein Mensch tagelang ohne Nahrung, vor allem aber ohne Wasser, in völliger Dunkelheit auskommen muss, passiert mehr mit seiner Psyche und seinem Körper als hier geschildert wird. Jenny ist mir in dieser Hinsicht zu tough, zu taktisch und überlegt. Das würde ich zwar jemandem zutrauen, der für so etwas ausgebildet ist (Militär etc.) aber keiner "normalen" Frau. Deshalb fehlte es mir hier an Glaubwürdigkeit und Nachvollziehbarkeit.

Insgesamt ist die Story durch ihren flüssigen Schreibstil und die eingeschobenen Rückblenden durchaus spannend und solide. Vor allem das letzte Drittel des Buches las sich sehr gut, da hier das Tempo anzog, der Spannungsbogen anstieg und das Ganze mehr Dynamik bekam. Ein überraschendes Ende mit tollem Fazit versöhnte mich dann mit den Längen des Mittelteils. In der Summe fehlte aber leider das gewisse Etwas.

Fazit

Kelli Owen hat mit "Sechs Tage" einen spannenden und soliden Psychothriller geschrieben, der sich flüssig lesen lässt aber leider nicht ganz ohne Längen auskommt. Für Fans des ruhigen, psychologischen Erzählens bietet diese Geschichte dennoch einen guten Unterhaltungswert.