Rezension

Die Leichtigkeit des Seins

Erhebung - Stephen King

Erhebung
von Stephen King

Bewertet mit 5 Sternen

Der übergewichtige und geschiedene Scott lebt im beschaulichen Castle Rock. Zwei Dinge machen ihm das Leben schwer. Zum Einen erledigen die Hunde seiner in gleichgeschlichtlicher Ehe lebenden Nachbarinnen ihr Geschäft bevorzugt auf seinem Rasen und das im wahrsten Sinne des Wortes "gewichtigere" Problem ist sein Körpergewicht. Denn das fällt rapide ohne dass er etwas dazu beiträgt und ohne, dass man es ihm ansieht. Egal ob nackt oder angezogen oder sogar mit Gewichten bepackt bringt Scott das selbe Gewicht auf die Waage. Ein unerklärliches und lebensbedrohliches Phänomen, das Scott niemandem außer dem pensionierten Doc Ellis anvertraut. Doch auch dieser weiß keinen Rat.
Das Hundehäufchenproblem stellt sich zunächst ebenfalls als vermeintlich unlösbar dar. Doch auf die Konfrontation mit den Frauen hat Scott wenig Lust und so versucht er Frieden mit ihnen zu schließen. Dabei erfährt er, dass die beiden Damen weit größere Probleme haben als die Hinterlassenschaften ihrer Hunde auf seinem Grundstück. Und so gerät Scott unvermittelt zwischen die Fronten eines wahren Kleinstadtkrieges.

Leseeindruck

Beim Lesen der Beschreibung beschlich mich kurz das Gefühl eine abgewandelte Version des Romans "Der Fluch" ("Thinner") vorgesetzt zu bekommen. Doch weit gefehlt. Mit "Erhebung" (OT "Elevation") liefert der "Meister des Horrors" einen überraschend feinfühligen und im Grundton positiven Kurzroman ab.

Der Autor entführt den Leser wieder einmal nach Castle Rock, einem Städtchen, das im King-Universum schon viel mitmachen musste. Die Menschen hier sind konservativ und kleinbürgerlich, Veränderungen werden nur ungern gesehen. Und so ist es nicht verwunderlich, dass das gleichgeschlechtliche Ehepaar in Scotts Nachbarschaft nicht akzeptiert und sogar gemieden wird. Schlimm genug – doch die beiden Damen betreiben ein Restaurant und die Ausgrenzung stellt sie vor den finanziellen Ruin und das obwohl das Essen exzellent ist. Der gutherzige Scott erkennt nicht nur die Misere der Frauen, sondern er beschließt auch etwas zu tun, dass in unserer heutigen Gesellschaft nicht selbstverständlich ist: Er will helfen und stellt sich öffentlich gegen die Vorurteile.

Das eigentliche Thema seines mysteriösen Gewichtsverlusts, die damit einhergehende Angst vor dem Ende, rückt da vorübergehend beinahe in den Hintergrund. Scott weiß nur eins: Er möchte nicht als Stadtgespräch oder Versuchskaninchen enden. Also vertraut er sich zunächst nur einem Menschen an. Der pensionierte Dr. Ellis genießt sein Vertrauen, helfen kann er ihm aber auch nicht. Und so tut Scott das einzig Verbleibende – er akzeptiert sein Schicksal und nimmt es demütig an. So wird er für den Leser zum (tragischen) Helden mit Herz, denn die Zeit, die ihm bleibt nutzt er, um Anderen zu helfen, sie von engstirnigen Denkmustern und Vorurteilen zu befreien und ihnen so neue Wege aufzuzeigen. Wege, die letztlich zu Freundschaft, Glück und Seelenfrieden führen.

King schreibt einfühlsam, wenn auch nicht ganz ohne Klischees, lässt Seitenhiebe auf die Trumpsche Regierungsweise niederprasseln und vielleicht schrammt er auch zum Ende hin gerade so haarscharf am Kitsch vorbei. Aber er berührt und die Botschaft kommt an. In nur knapp 144 Seiten schafft er damit etwas, das nur wenigen Autoren gelingt. Das überzeugt und liest sich auch noch sehr gut. Insofern ist diese Novelle nicht nur für die treuen Fans eine Leseempfehlung. Ich habe die Lektüre sehr genossen, mit den gut gezeichneten Charakteren mitgefiebert und im Anschluss auch etlichen Gedanken nachgehangen.

Fazit

Eine schön geschriebene Novelle, die mit einer wichtigen Botschaft daherkommt, die berührt und zum Nachdenken anregt. Figuren, die authentisch sind. Aber auch eine mysteriöse, unheimliche Geschichte, die uns allen die Endlichkeit vor Augen führt, uns aber auch aufzeigt wie der Weg bis zum Ende aussehen kann. Denn es liegt nur an uns selbst, enge Korsetts abzulegen und das (Mensch)Sein leicht und erträglich zu gestalten.