Rezension

Die letzten Lebensjahre eines großen Dichters

Der weiße Abgrund - Henning Boëtius

Der weiße Abgrund
von Henning Boetius

Bewertet mit 4 Sternen

Ob Heinrich Heine wohl trotz oder wegen seines chronischen Leidens noch im hohen Alter voller Schaffensdrang war? Von dieser letzten Lebensphase Mitte des 19. Jahrhunderts, die der Dichter in Paris verbrachte, handelt dieses Buch.

Während Heine ans Bett gefesselt unter Kopfschmerzen, Schwindelanfällen und nachlassender Sehkraft leidet, geht seine Frau Mathilde gerne aus und trifft sich mit ihren Freundinnen zum Essen. Er denkt an all die Dinge, die er nun nicht mehr genießen kann wie durch die Stadt zu flanieren, ans Meer zu fahren oder schöne Frauen zu verführen und gibt dem Leser auf die Weise Einblick in sein vergangenes Leben. Er erinnert sich auch an frühere Verse, die inhaltlich passend eingebunden werden.

Immerhin hat der kranke Poet einen Leidensgenossen, denn aus seiner Sicht leidet auch die Stadt Paris unter den städtebaulichen Maßnahmen, die Lärm und Hektik verbreiten. Die Beschreibung seines körperlichen Verfalls ist sicher nicht angenehm zu lesen, doch Boëtius‘ spöttischer Witz und seine Ironie verleihen der Geschichte Leichtigkeit und Heiterkeit.

Besonders amüsant erzählt er von einem Essen, zu dem Heines Arzt David Gruby geladen hat und so illustre Gäste wie Gustave Flaubert, Alfred de Musset, Gustave Courbet oder Gérard de Nerval um sich versammelt. Dort kommen zum ersten Mal auch Heines geplante Memoiren zur Sprache, die im weiteren Verlauf eine zentrale Rolle spielen und um dessen Verbleib sich viele Legenden ranken. Das Porträt der letzten Lebensjahre ist ebenso interessant zu lesen wie die Szenen aus der Pariser Bohème und den literarischen Salons.