Rezension

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Die liebe Familie

Männer sterben bei uns nicht -

Männer sterben bei uns nicht
von Annika Reich

Geheimnisse einer Großmutter - eine Sozialstudie mit viel Sarkasmus, unbedingt lesen!

Es ist ein stattliches Anwesen mit Seeblick: fünf Häuser, die zusammengehören, in vier der Häuser leben mehrere Frauen, die mehr oder weniger zusammenwohnen. Die Frauen sind alle mehr oder weniger miteinander verwandt, und über allem herrscht die Großmutter.

Doch eines Tages stirbt die Matriarchin. Und ihre Enkelin Luise fragt sich, warum es in ihrer Familie keine Männer gibt, und was es mit dem fünften, unbewohnten Haus nun wirklich auf sich hat.

Cover und Schreibstil:

Das Cover von „Männer sterben bei uns nicht“ und hat mich sofort neugierig gemacht. Man sieht im Vordergrund eine kleine blauweiße Schale. Daneben liegen zwei alt aussehende Äpfel, und im Hintergrund ist ein großer Blumenstrauß, der überwiegend aus Rosen besteht, zu sehen. Bemerkenswert an diesem Stillleben der besonderen Art ist, dass einige Blüten schon verblüht sind, und dass aus der Schale eine kleine Ecke herausgebrochen ist. Man sieht drei eigentlich hübsche Dinge, aber alles ist nicht ganz makellos, genau wie die Familie, um die es in Männer sterben bei uns nicht“ geht!

Annika Reichs Schreibstil gefällt mir sehr gut. Durch die gewählte Ich-Form (aus Luises Perspektive) wirkt der Text sehr lebendig und authentisch. Die Geschichte wird auf zwei Zeitebenen erzählt, ein Teil der Handlung spielt in Luises Kindheit, der Rest in der Gegenwart, und zwar im Wesentlichen während der Beerdigung der Großmutter.

Die Art der Schilderung ähnelt Ingrid Noll, was für mich ein Kompliment darstellt. Allerdings nutzt die Autorin nicht den schwarzen Humor, sondern nutzt beim Schreiben den Sarkasmus. Humorig ist da gar nicht, außer vielleicht ein paar Passagen, die den Lesenden aufgrund einer Situationskomik ein zaghaftes Lächeln entlocken können.

Der Titel („Männer sterben bei uns nicht“) ist genial, denn er macht neugierig und sagt in einem Satz, worum es in dem Buch eigentlich geht. Dies versteht man allerdings erst, wenn man das Buch gelesen hat, und auch dies ist ein raffinierter Schachzug der Autorin.

Fazit und Leseempfehlung:

Für mich ist „Männer sterben bei uns nicht“ ein Kriminalroman ohne Mord und Totschlag. Tatsächlich tauchen zwei Leichen auf, die aber für die eigentliche Handlung eine eher untergeordnete Rolle spielen.

Das Mörderische, Kriminelle wird in „Männer sterben bei uns nicht“ ganz anders eingebaut, was viel perfider daherkommt als in einem herkömmlichen Krimi oder Thriller.

„Männer sterben bei uns nicht“ ist ein mutiges Buch, das meiner Meinung nach beachtet werden muss. Haben wir nicht alle etwas merkwürdige Verwandte? Gibt es nicht in jeder Familie ein schwarzes Schaf oder jemanden, der über alle anderen bestimmen möchte?

Fast liebevoll webt Annika Reich ihr Netz mit all den etwas schrullig daherkommenden Protagonistinnen. Mitten in ihrem Netz sitzt als dicke, schwarze Spinne die Großmutter. Als diese stirbt, wackelt das Netz, und es zeigt sich, dass die Fäden nicht so fest verwoben sind, wie es zunächst den Anschein hat. Viele Wahrheiten und auch Lügen treten auf einmal an die Oberfläche, und keine der Frauen kann sich dem entziehen.

Die Hauptprotagonistin stellt fest:

„Je mehr ich über meine Großmutter nachdachte, desto rätselhafter wurde sie; und das obwohl ich als Kind immer gedacht hatte, sie wäre lupenrein wie ein Diamant.“ (Kindle-Position 918)

Der Buchtitel lügt nicht, denn hier sterben eigentlich keine Männer, nur der Großvater, aber was mit den Männern, die es mal gab, geschehen ist, wird in dem Buch nicht beantwortet. Man erfährt nur dies:

„Männer starben bei uns nie, Männer kamen und gingen.“ (Kindle-Position 17).

Annika Reichs Buch hat mich von vorne bis hinten bestens unterhalten, aber gleichzeitig auch nachdenklich gestimmt. Dass die Autorin nicht alle Fragen, die beim Lesen aufkommen, auch tatsächlich beantwortet, ist geschickt, aber auch herausfordernd.

Zum Schluss noch ein echter Gänsehaut-Satz:

„Man betrauert auch Menschen, mit denen es schwierig war im Leben, vielleicht betrauert man die sogar noch ein bisschen mehr.“ (Kindle-Position 592)

Ich empfehle „Männer sterben bei uns nicht“ allen, die Sarkasmus mögen und allen Ingrid Noll-Fans. Vier Sterne von mir.

Die Dauerleserin