Rezension

Die Liebesgeschichte gerät hinter den schweren Schicksalen leider in den Hintergrund.

Mitten im Sturm - Jessica Winter

Mitten im Sturm
von Jessica Winter

Bewertet mit 3.5 Sternen

Es passiert selten, dass mich ein Buch schon mit dem ersten Satz abholt.
„Ich habe einen Menschen getötet“ heißt es am Anfang von Jessica Winters neuem Liebesroman. Die Neugier auf den weiteren Verlauf der Geschichte ist sofort geweckt, ebenso werden Fragen zu der Vergangenheit der Protagonistin aufgeworfen.

In diesem Fall ist das Grace, die mir schon gleich zu Anfang sofort sympathisch war, als sie Eric ungefragt seinen Kaffee abnimmt und sich damit als verpeilte, positiv verrückte Persönlichkeit outet. Wenn wir es nicht schon durch den ersten Satz des Buches ahnen würden, so wird spätestens durch die hingesprühte Nachricht auf Grace‘ Tür deutlich, dass sich irgendetwas in ihrer Vergangenheit zugetragen hat, was sie jetzt einholt – die Leichen in ihrem Keller klopfen buchstäblich an ihre Tür. Statt um Hilfe zu bitten, versucht sie die Angelegenheit mit sich selbst auszumachen und ein Lügengerüst um sich herum aufzubauen, um die Wahrheit mit niemandem teilen zu müssen. Ein Umstand, der Eric sofort bitter aufstößt und ihn trotz aller widerwilligen Faszination misstrauisch macht, denn Ehrlichkeit ist für Eric das A und O. Aufgrund dessen lernt man auch Eric sofort als absoluten Sympathieträger kennen, denn er ist jemand, dessen Unterstützung und Loyalität man sich sicher sein kann, sollte man ihn zum Freund haben. Er tut alles für seine Familie und ist aus Sorge um seinen Freund Matt, der Grace offensichtlich verfallen ist, Grace gegenüber besonders vorsichtig. Es dauert aber nicht lange, bis er diese Vorsicht in den Wind schießt und es auf einmal Grace ist, die er um jeden Preis beschützen will.

Man entwickelt recht schnell eine Ahnung, was sich in etwa in Grace‘ Vergangenheit zugetragen haben könnte. Aufgrund dessen habe ich eine emotionale Liebesgeschichte erwartet, die nicht wenige Hürden zu überwinden hat, aber angesichts des Humors, der bereits in der Leseprobe anklingt, auch Momente zum Luftholen und Lachen bieten wird. Tatsächlich ist dies auch der Fall, jedoch hatte ich mit der Zeit zunehmend das Gefühl, keine Liebesgeschichte, sondern eine Geschichte darüber zu lesen, wie sich die Protagonistin den Dämonen ihrer Vergangenheit stellt und daran wächst. Die Autorin greift hier ein sensibles Thema auf und behandelt dieses authentisch und feinfühlig, ohne unnötig dramatisch zu werden und eine unrealistische Charakterentwicklung zu zeichnen. Grace‘ Geschichte ist bedrückend und vermag es, den Leser ins Herz zu treffen und zu berühren.

Jedoch muss die Liebesgeschichte hinter dieser starken Hintergrundgeschichte zurückstecken, sodass man sie schon fast als nebensächlich bezeichnen kann. Es wird viel Wert auf den Aufbau der Liebesgeschichte gelegt, der sich durch das gesamte Buch zieht und den Leser dazu zwingt, viel Geduld aufzubringen. Normalerweise mag ich das sehr, weil gerade das Knistern und das Entwickeln der Gefühle das Spannende in einem Liebesroman ist, aber hier kam das Knistern und das Aufbauen der Gefühle viel zu kurz – ja, eigentlich war es fast gar nicht existent. Es hätte auch genauso gut eine Geschichte über Freundschaft sein können, denn Liebesgefühle kommen eigentlich erst gegen Ende richtig durch – und das geschah mir fast zu unspektakulär, wenn ich ehrlich bin. Natürlich spielt in diese Tatsache mit hinein, dass Grace keine leichte Vergangenheit hat und man aufgrund dessen nicht erwarten kann, dass es sofort eine Annäherung zwischen den beiden gibt, aber für mich persönlich bewegten sich die beiden dennoch zu sehr auf der platonischen Ebene, sodass mir die Schwärmereien und das Entgegenfiebern auf mehr zwischen den beiden etwas abkam. Dies kam auch dadurch zustande, dass zu viele Probleme von Nebenfiguren in den Fokus gerückt und zu ausführlich behandelt wurden.

Alles in allem ist die Liebesgeschichte also mehr ein netter Beigeschmack, während die Charaktere mit ernsten Problemen zu kämpfen haben. Wenn man so will, also eine Geschichte, die direkt aus dem Leben gegriffen sein könnte – nur mit einer Aneinanderreihung von schweren Schicksalen, wie man sie in dieser Vielfalt wohl seltener in der Realität antreffen würde.

Fazit

Für mich persönlich, die eine emotionale, aber auch humorvolle Liebesgeschichte lesen wollte, erfüllt das Buch nur zu Anfang meine Ansprüche, um sich dann immer mehr in den tragischen Hintergrundgeschichten der Personen zu verlieren. Das Buch ist angenehm und emotional geschrieben, aber wegen meiner falschen Erwartungshaltung bin ich leider enttäuscht, weil es zu viele Momente gab, die ich lieber überflogen hätte, da sie mich nicht so sehr interessiert haben. Aufgrund dessen vergebe ich 3,5 Sterne und eine bedingte Leseempfehlung.