Rezension

Die Macht des Drachenblutes

Das Erwachen des Feuers - Anthony Ryan

Das Erwachen des Feuers
von Anthony Ryan

Bewertet mit 3.5 Sternen

In den aktuellen fetten Fantasyschmökern scheinen u.a. Drachen die Schwemme an Vampiren, Werwölfen, Dämonen und Magiern abgelöst zu haben. Von Elfen, Zwergen und Orks lesen wir ja mindestens seit 10 Jahren nix neues mehr.

Neu sind Drachen natürlich nicht. Sie gehören zum festen Kern des althergebrachten erzählerischen Figurenensembles und ihrem Blut wird große magische Macht zugesprochen. Schon Siegfried im Nibelungenlied wurde unverwundbar, weil er sich in Drachenblut gebadet hat. Bei Tolkien ist der Drache dann vor allem gierig auf Gold, glitzernde Steinchen, und hat eine selbstherrliche Schwäche für Rätselspiele. George R. R. Martin hat sich für sein mehrteiliges Epos „Lied von Eis und Feuer“ bereits in den 90er Jahren für Drachen im Mittelaltersetting entschieden. Die TV-Produzenten haben den Stoff erst vor wenigen Jahren für sich entdeckt und so feiert der feuerspeiende furchteinflößende Drache ein Riesencomeback. Mich freut es. Drachen haben mich, seit ich lesen kann, fasziniert. Sie sind riesig, können fliegen und Feuer spucken. Sie haben von Schuppen gepanzerte Haut und sind vernunftbegabt. Je nach Geschichte können sie für Menschen fürchterliche mächtige Gegner sein oder die besten treuesten Verbündeten. Anthony Ryan scheint diese vielen verschiedenen Drachengeschichten auch alle zu kennen. Er baut die Idee des magischen Blutes aus. Drachen werden in seiner Welt zu wertvollem Jagdvieh. Dank ihres Blutes können die Menschen ihre körperlichen und geistigen Fähigkeiten steigern. Aber nur 1 von 1000 verträgt das Drachenblut. Blutgesegnete nennt man diese. Ryan entwirft eine Weltwirtschaft, die ihren Reichtum auf diesem Drachenblut aufgebaut hat. Es ist eine seltsame Mischung aus Mittelalter, Entdeckerzeit einschließlich Piraten und Wilder Westen am Vorabend der technischen Revolution. Ein großer Mythos bildet den roten Faden der Handlung. Neben roten, grünen, blauen und schwarzen Drachen soll es den König der Drachen geben – den Weißen. Bisher hat ihn noch niemand zu Gesicht bekommen, aber es geht das streng gehütete Gerücht, eine Blutgesegnete hätte ein Drachenei gefunden, mit dem sie spurlos verschwand. Eine Expedition aus Drachenjägern wird Jahrzehnte später auf ihre Spur geschickt. Und plötzlich scheint sich auch das ganze Weltgefüge zu verändern. Völker greifen sich gegenseitig an, Drachen schließen sich zusammen und machen in gänzlich untypischen Rudeln Jagd auf die Siedlungen und Städte der Menschen.

700 Seiten umfasst Ryans Auftakt zu seiner neuen Fantasytrilogie. Es ist ein etwas sperriger Stoff, er ist nicht in dem gefälligen seichten Stil der fantastischen Jugendliteratur gehalten, sondern wesentlich detaillierter und sprachlich ausgewogener. Seine Erzählwelt ist fremd und bekannt zugleich. Das führt immer wieder zu leichten Knoten in meinem Kopf. Denn ich was ich lese, ist mir nicht unbekannt, es wird nur vom Autor anders eingeordnet und zusammen gebracht, als ich es gewohnt bin. Das verlangt eine gewisse Konzentration beim Lesen, besonders wenn es um die technischen Details geht. Dennoch irritiert es mich ein wenig, dass ich doch recht langsam durch die Seiten gekommen bin. Gerade zum Ende hin aber habe ich das als angenehm empfunden. Wenn man nicht so mir nichts dir nichts durch die Seiten fliegt, hat man einfach länger etwas von dieser neuen Welt.

Das Figurenensemble ist der Seitenzahl durchaus angemessen. Mehrere Charaktere erleben zeitgleich an unterschiedlichen Orten verschiedene Geschichten, die natürlich alle am Ende zusammengehören. Das muss so in klassischen Erzählsträngen. Wir lernen die Figuren ganz langsam kennen, drei von ihnen stehen im Mittelpunkt und bilden die jeweilige Erzählperspektive. Dadurch wissen wir Leser nie mehr als die drei wissen. Das hebt die Spannung und führt zu überraschenden Momenten.

Hinter dem fantastischen Stoff lässt sich auch eine gewisse zeitgenössische Kritik an unserer realen Welt heraus lesen. Dadurch dass Ryan so viele historischen Momente unserer Geschichte aufgreift und für seine Welt adaptiert, wird einem klar, dass die Menschen immer das schlimmste Übel egal welcher Welt sind. Mir gefällt dieser zeitkritische Ansatz, er ist klar herauszulesen und fügt sich dennoch völlig in die Geschichte ein, er wirkt nicht von oben herab aufgesetzt. Allerdings muss man die detailliert dargestellten Mensch- und Materialschlachten auch aushalten können. Hier wäre vielleicht weniger mehr gewesen. Damit reiht er sich allerdings in die zeitgenössische Art des Erzählens ein. Ähnlich wie es Hollywood liebt, Kampf- und Schlachtgetümmel in epischer Breite mit allen nur möglichen Special Effects darzustellen, scheinen vor allem die männlichen Autoren dazu zu neigen, diesem Weg in ihren Romanen zu folgen. Unnötig in meinen Augen. Zu Teil zwei werde ich wohl aber dennoch greifen.