Rezension

Die Pforten der Wahrnehmung - durchgehend packend

When the Music's over - Myra Cakan

When the Music's over
von Myra Cakan

Bewertet mit 5 Sternen

Das erste Mal habe ich „When the music’s over“ gelesen, als der Gedanke an E-Books noch reine Utopie war. Das Buch ging dann in andere Hände über – ich habe damals oft Bücher verliehen und sie niemals zurückgekriegt. Nun, vor einigen Monaten, befüllte ich wieder einmal meinen Kindle und war direkt gespannt aufs „Wiederlesen“ dieses außergewöhnlichen Romans. Und siehe da: Er hatte nichts an Frische eingebüßt!
Mich fasziniert nach wie vor der wilde, coole, herbe Ton, in dem das Werk verfasst ist. Sein Weltschmerz, der jedoch niemals in Larmoyanz verfällt, sondern von Eigenständigkeit und Stärke zeugt, wie eine Art Energiequelle, aus der sich die Geschichte speist.
Ganz klar fordert der Roman die Leser, sie dürfen sich auf ihn einlassen, sich einlesen, mit oberflächlichem flüchtig-Durchhuschen ist es hier nicht getan – aber hey, wer sagt denn, dass das Lesepublikum von heute keine Herausforderungen mehr annimmt? Ich glaube mal, es ist ein Vorurteil, dass junge LeserInnen bloß das unterhaltungsliterarische Äquivalent von Pommes und Cheeseburgern mögen. Trauen wir ihnen doch mehr zu!
Damals, 1999, hatte ich kaum jemals so starke weibliche Protagonisten gefunden, jedenfalls nicht in der deutschen SF-Literatur. Ich würde mal behaupten, dass Myra Cakan damit eine Vorreiterin war. In „When the music’s over“ stehen sie gleichberechtigt neben den männlichen Helden. Worum geht es sonst überhaupt? Um Aliens, Klimaschock, Drogen, Krankheiten, no future und mittendrin durchgeknallte Lebens-Künstler, die „noch genug Chaos in sich haben, um tanzende Sterne zu gebären“. Und sich die Erde zurückerobern wollen.
Mich hat das Fehlen des klassischen roten Fadens im Roman nicht gestört, ich brauche das behäbige simple Erzählen nicht – zu einer in Stücke zerfallenden dystopischen Geschichte passt das Sprunghafte viel besser. Wildbäche mit Wasserfällen, die sich am Ende doch ins Meer ergießen, ins sinnvolle Ganze.
Skadi, das zähe Naturkind, mit dem freien Blick der Außenseiterin.
Sunshine, toughe Kämpferin mit verletzter Seele.
Blue, hypersensibler Musiker, der darum ringt, sich selbst treu zu bleiben.
Um nur ein paar der tatsächlich zahlreichen Protagonisten zu nennen. Cakans Roman handelt auch vom Erwachsenwerden, von der Sinnsuche, von Träumen, von Selbstbehauptung, von der Überwindung des Egos, von der Bildung ungewöhnlicher Gemeinschaften – manchmal auch von einem selbstgewählten Tod.
Leitmotivisch, aber nicht aufdringlich, zieht sich die Musik der DOORS durch das Buch. Und dann findet sich darin auch noch „das gewisse Etwas“, das ich nicht beschreiben kann …
Eintauchen. Lesen. Es ist ein Gewinn.