Rezension

Die Schattenseiten der Unsterblichkeit

Scythe - Neal Shusterman

Scythe
von Neal Shusterman

Bewertet mit 5 Sternen

Inhalt:

Cilia führt ein normales Leben in einer Welt, in der der Tod besiegt ist. Um trotzdem für einen Ausgleich zu sorgen, gibt es die Scythe, Menschen, denen die Aufgabe anvertraut wurde, Leben zu nehmen - über alle Vorurteile erhaben, als ewige Außenseiter. Auch Rowan lebt in dieser Welt, als x-tes Kind in einer zu großen Familie, in der er längst keine Aufmerksamkeit mehr erfährt.
Die beiden haben nichts gemeinsam - außer, dass eine Scythe auf sie aufmerksam wird und beide zu seinen Lehrlingen auserwählt. Keine*r von beiden will diese Aufgabe übernehmen, und doch kann nur eine*r am Ende Scthe werden. Und so tauchen sie ein in eine Welt, die längst nicht so erhaben ist, wie sie scheint - und geraten in Gefahr, selbst zum Spielball zu werden ....

Meine Meinung:

Das Buch ist mal wieder so eins, bei dem ich dafür wäre, den Klappentext nicht zu lesen, weil er schon ein wenig spoilert.
Die Idee hinter dem Ganzen finde ich einfach nur unglaublich cool und vor allem regt sie auch zum Nachdenken an. Im Jahr 2042 ist das Thunderhead, eine künstliche Intelligenz, in Erscheinung getreten. Diese KI ist de facto allwissend, weswegen die Menschheit damit auch den ultimativen Fortschritt erreicht hat. Entgegen aller Befürchtungen hat diese KI auch nicht die Menschheit unterworfen, stattdessen hat sie die Regierungen übernommen, sorgt dafür, dass alle ewig leben, immer geheilt werden, es keine Krankheiten, keine Armut, keine Verbrechen gibt und so weiter. Mit anderen Worten: Die Welt, in der Cilia und Rowan leben, ist perfekt, die Menschen sind unsterblich und die Entwicklung ist vollkommen.

Somit erhält man eine Auseinandersetzung mit dem Thema Unsterblichkeit. Und der Frage, was passiert, wenn niemand mehr stirbt. Dieses Konzept ist super interessant und regt zum Nachdenken an - darüber, was Sterben eigentlich bedeutet, auch für unser alltägliches Leben, darüber, ob Unsterblichkeit wirklich erstrebenswert ist und eben auch darüber, was man denn tut, wenn die gesamte Menschheit unsterblich ist, sich aber weiter fortpflanzt.

In dem Augenblick treten dann eben die Scythe in Erscheinung. In diesem Buch wird dann auch die Moral hinter diesem scheinbar willkürlichen Töten thematisiert. Dazu gehört dann eben auch das Missbrauchspotenzial einer solchen Position und überhaupt die Frage der menschlichen Verfehlbarkeit. Und all das fand ich super umgesetzt und thematisiert.

Cilia und Rowan lernen sich dadurch kennen, dass beide als Lehrlinge von Scythe Faraday aufgenommen werden. Und obwohl beide eigentlich alles andere lieber tun würden, als diesen Job zu übernehmen, entsteht so eine leichte Konkurrenzsituation, angefeuert von Cilias Ehrgeiz. Diese Situation bricht Rowan aber, nachdem er gerade erst die Erfahrung gemacht hat, alleine dazustehen, und in ihr jemand sucht, auf den er sich verlassen kann.
Und das ist einfach so toll dargestellt. Das heißt, tatsächlich liegt der Fokus eher auf ihrer Ausbildung, aber nebenbei entwickelt sich eben auch die Freundschaft zwischen den beiden, mit dem leichten Potenzial zu mehr, weil beide den*die andere*n nicht unbedingt unattraktiv finden. Trotzdem ist es erst mal Freundschaft, und es ist eine Beziehung, die enorm von gegenseitigem Respekt geprägt ist, obwohl sie immer wieder konkurrieren oder sich necken. Zudem gibt es keine*n, der*die hervorsticht, die beiden sind absolut gleichberechtigt. Wie gesagt, ich mochte diese Beziehung sehr.

Ansonsten wirkten beide auf mich authentisch - sowohl, was die Tatsache angeht, dass sie erst 16 sind, als auch in Bezug auf die Entwicklung, die beide durchlaufen. Keine*r von ihnen ist perfekt, im Gegenteil, und das macht sie nur zu umso vielschichtigeren Charakteren.
Auch sonst bietet das Buch einige sehr interessante und oft sehr tiefgründige Charaktere. Scythe Faraday nimmt seiner Funktion gebührend die Rolle als weiser Mentor ein, war mir aber auch sonst sympathisch.

Neal Shustermans Schreibstil habe ich als eher einfach, klar und schnörkellos empfunden. Hauptsächlich wechseln sich Rowan und Cilia als personale Erzähler ab, zwischendurch allerdings mit Passagen, die etwas auktorialer anmuten. Was ich auch echt cool fand, war, dass jedem Kapitel ein Auszug aus dem Tagebuch einer Scythe vorangestellt wurde. Diese reflektieren oft verschiedene Aspekte des "Scythedoms" - wie es zu den Sycthes kam, die Moral dahinter, die Bürde und so weiter. Auch diese regen zum Nachdenken an.

Fazit: Unheimlich faszinierende Thematik zu der Frage, wie eine Welt aussähe, in der alle unsterblich wären - ein Buch, das ein wenig zeigt, dass der Tod auch irgendwie einen Sinn haben kann. Ein Buch, das zum Nachdenken anregt und gleichzeitig an die Seiten fesselt, das aber auch eine unheimlich gelungene, respektvolle und authentische Beziehung zwischen den beiden vielschichtigen Protagonisten zeichnet.