Rezension

Die Schatzjagd seines Lebens

Reckless 02 - Lebendige Schatten - Cornelia Funke, Lionel Wigram

Reckless 02 - Lebendige Schatten
von Cornelia Funke Lionel Wigram

Bewertet mit 4 Sternen

Cornelia Funke entführte mich mit ihrer Tintenwelt-Trilogie in die wunderbar fantastische Tintenherzwelt und nahm mich damit vollkommen für sich ein. Vor drei Jahren veröffentlichte die deutsche Kinder- und Jugendbuchautorin dann den ersten Band ihrer neuen Trilogie: Reckless – Steinernes Fleisch. Die Geschichte des jungen Abenteurers Jakob Reckless, der als Kind durch den Spiegel seines verschwundenen Vaters in eine Märchenwelt stolperte, begeisterte nur wenige Leser. September 2012 erschien der zweite Band Reckless – Lebendige Schatten und da mir nach leichter Lektüre war, gab ich Frau Funkes neuem Dreiteiler eine Chance.

Was bisher geschah

Wer den ersten Teil nicht gelesen hat, der wird keine Freude am Zweiten haben. Zuviel Hintergrundwissen wird hier vorausgesetzt. Deswegen hier eine kleine Zusammenfassung:
In Reckless – Steinernes Fleisch begleiten wir Schatzjäger Jakob, seine junge Gefährtin und Gestaltwandlerin Fuchs, seinen Bruder Will und dessen Freundin Clara durch die Märchenwelt hinter dem Spiegel. Sie kämpfen gegen einen Fluch, der droht, Will in einen Goyl zu verwandeln – ein menschenähnliches Wesen aus Stein. Im letzten Moment gelingt es Jakob seinen Bruder zu retten. Doch der Preis, den er der Schwarzen Fee dafür schuldet, ist hoch.

Morbide Schnitzeljagd

Reckless – Lebendige Schatten schließt nahtlos an Steinernes Fleisch an. Jakob sucht ein Mittel, den Fluch der Fee zu brechen. Doch weder der Brunnen der ewigen Jungend noch der Apfel, der eigentlich alles heilen kann, kurierten ihn von der todbringenden Motte auf seiner Brust. Verzweifelt greift er zum letzten Strohhalm und macht sich mit Fuchs auf die Jagd nach der legendären Armbrust des Hexenschlächters Guismund. In Hass abgeschossen, sollen ihre Bolzen Heerführer samt ihrer Truppen töten; schießt ein Liebender seinem todkranken Schatz ins Herz, soll dies jedoch die Heilung bringen.

Auch Goyl Nerron sucht das mächtig gefährliche Artefakt. Vom Ergeiz beflügelt Reckless den Rang als erfolgreichster Schatzjäger abzulaufen, liefert er sich mit dem sterbenden Weltenwandler einen neÌ£rvenzehrenden Wettlauf bei einer morbiden Schnitzeljagd.

Wandel in der Märchenwelt

Cornelia Funke erfindet mit der Reckless-Reihe fantastische Jugendliteratur nicht neu – keine Frage. Wie in Tintenherz entdeckt der Protagonist einen Weg von unserer Realität in eine märchenhaft andere. Wesen aus altbekannten Märchen und Überlieferungen bevölkern die Welt hinter dem Spiegel. Feen entführen Jünglinge auf ihre Insel, Wassermänner verschleppen Jungfrauen in ihre unterirdische Höhle und böse Hexen locken Kinder in ihre Lebkuchenhäuser. Mit Gegenständen wie Aschenputtels Schuh oder einem Knüppel aus dem Sack können Schatzsucher zu Reichtum und Ruhm gelangen. Wie Jakob Reckless.

Der jugendliche Held flüchtete als Kind vor seiner um den Vater trauernden Mutter und dem kleinen Bruder immer häufiger in die Märchenwelt, bis er mehr zu ihr als zu seiner Heimatrealität gehörte. Doch auch in seinem neuen Zuhause bricht der Fortschritt aus. Nach und nach streben die Sagengestalten der Industrialisierung entgegen. Alles befindet sich im Umbruch und Reckless vermutet, dass sein Vater daran nicht unschuldig ist. Doch während Jakob der Tot auf den Fersen ist, hat er verständlicher Weise anderes im Kopf als die Suche nach seinem Vater. Wie etwa seine Gefühle für Fuchs. Denn das nahende Lebensende lässt den jungen Mann erkennen, wie viel ihm die schöne Gestaltwandlerin bedeutet.

Hier und dort arg konstruiert

Wahre Liebe, spannende Abenteuer, tapfere Helden, mutige Frauen, grumpige Zwerge, ebenbürtige Gegenspieler, böse Feen, hässliche Hexen, hinterlistige Monster und mysteriöse Unbekannte – all das findet der Leser in Reckless – Lebendige Schatten. Die einfache Sprache von Funke lädt dazu ein, die 416 Seiten in wenigen Stunden zu verschlingen.

Auch wenn die Reckless-Serie an Innovation und Detailverliebtheit nicht an die Tintenweltbücher heran reicht, hier und dort die Geschichte arg konstruiert wirkt und wenige zähe Stellen für Längen sorgten: Mir bereitete die Lektüre sehr unterhaltsame Stunden. Viele Fragen blieben offen, viel Potenzial noch nicht ausgeschöpft. Mit Spannung erwarte ich deshalb den dritten Band der Trilogie, an dem Frau Funke Gerüchten zufolge schon fleißig arbeitet.