Rezension

"Die Schwalbe entfliegt den Bösartigen"

Der Report der Magd - Margaret Atwood

Der Report der Magd
von Margaret Atwood

Bewertet mit 5 Sternen

Der „Report“ der bis zum Ende namenlosen Magd, den man hier liest, ist in einem düsteren, traurigen und resignierten Ton geschrieben, in den man sich ein bisschen einfinden muss. Es mag vordergründig emotionslos wirken, wie sie beschreibt, aber es passt einfach perfekt zur Situation in der sie ist. Enteignet, entmündigt, getrennt von Familie und Freunden, eine Gebärmaschine, die sich kein falsches Wort erlauben darf. In ständiger Angst und ohne andere Ablenkung als der Blick aus dem Fenster. Eine absolut schreckliche Vorstellung. Und besser kann man es nicht umsetzen. Die Stimmung, die durch den Schreibstil entsteht hat mich der Geschichte an sich näher gebracht. Dass dann mitten in dieser sprachlichen Düsternis immer wieder kleine Satz-Perlen auftauchen, fand ich großartig. Wie Atwood ihre Magd das Rot der Gewänder beschreiben lässt, die Stuckrose an der Decke ihres Zimmer oder den eigenen Körper, der nur noch ein Gefäß ist – wow! Oder wie sie über Stofflichkeiten nachdenkt, wie gerne sie etwas anfassen, etwas fühlen möchte. Das war stellenweise sehr berührend!

Das Szenario das Atwood entwirft fand ich einerseits realistisch – wenn es um die Überwachung oder die häusliche Situation geht – andererseits war mir völlig unverständlich, wie es so weit kommen konnte. Zwar wird immer wieder angedeutet, dass Demonstrationen im Keim erstickt wurden und wie die Mägde „diszipliniert“ wurden aber wie man sich doch so relativ schnell in diese Situation ergeben kann, wollte ich nicht verstehen.

Zum Teil hätte ich mir noch einen anderen Blickwinkel gewünscht, einfach weil „unsere“ Magd auch für die Verhältnisse in Gilead relativ abgeschottet ist. Es gibt viele Leute, die weit mehr über die aktuelle Situation, den Widerstand, das System wissen, als sie. Das machte aber andererseits auch den Reiz des Buches aus. Ich zumindest konnte mich so besser in ihre Situation hineinversetzen, weil ich sicher ebenso uninformiert dort gelandet wäre, wie sie. Dass sie hin und wieder von ihrer weitaus rebellischeren Freundin Moira erzählt, fand ich eine gelungene Abwechslung. Auch die Passagen aus "der Zeit davor", waren sehr interessant.

Ich fand diesen Roman insgesamt relativ verstörend. Beschreibt Antwood doch viele Szenen, gegen die sich alles in mir gesperrt hat. (Ich habe nur zu gut verstanden, warum es in Gilead bruchsicheres Glas und keine Messer für die Mägde gibt...) Da das aber sicher auch die Intention des Romans war und mich die Sprache sehr begeistert hat, muss ich auf jeden Fall eine klare Leseempfehlung aussprechen! Besonders das Ende fand ich einen genialen Kniff. Düster, bedrückend und bedächtig erzählt bleibt mir dieser Roman sicher noch lange im Kopf. Für mich hat er das Zeug zu einem modernen Klassiker, auch wenn mir insgesamt Atwoods später entstandene MaddAddam-Trilogie noch einen Tick besser gefallen hat.

Kommentare

katzenminze kommentierte am 29. Oktober 2017 um 15:01

Und, oh Gott! Ich habe eben erst bei der "Nachrecherche" den pseudo-lateinischen Spruch verstanden (als kompletter nicht-Lateiner hat's a bissel gedauert...)!! Das ist ja bitterböse! Dabei finde ich ihn richtig geschrieben so unheinlich schön und passend. Wahnsinn, diese Zweideutigkeit. 

LySch kommentierte am 29. Oktober 2017 um 22:15

Sehr gute Rezi, liebe Minzi! Ich muss eeendlich mal was von dieser klugen Dame lesen *seufz*